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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Rapp wollte dieser Posse umgehend ein Ende machen und wusste gleichzeitig, dass er es nicht konnte. Die Gründe, warum er es gestern Abend nicht getan hatte, galten heute Morgen noch genauso. Es war zum Verrücktwerden.
    Ob er es wollte oder nicht, er musste gehen. Heimlich wie ein Dieb schlich er sich hinaus.
    Draußen auf der Straße schöpfte er erst einmal tief Luft. So war das also. Aus dem Doppelgänger war ein Imitator geworden. Zwar glaubte Rapp noch immer nicht, dass der Kerl die vielfältigen Tätigkeiten eines Apothekers beherrschte, aber immerhin schien er geistesgegenwärtig genug zu sein, einfache Situationen zu meistern. Bei der Witwe Kruse war es keine sonderliche Leistung gewesen, ihr etwas zu verkaufen. Sie kannte sich in seiner Offizin fast so gut aus wie er selbst und wusste genau, wo welche Arzneien zu finden waren. Als Hypochonder und Dauerkundin wusste sie zudem, wie viel die einzelnen Medikamente kosteten. Auch dem Arbeiter mit dem Schnupfen war leicht zu helfen gewesen. Man musste kein examinierter Pharmazeut sein um zu wissen, dass bei Schnupfen strikte Bettruhe, Schwitzen und heißer Tee angezeigt waren. Jedes Kind wusste das. Rapp schnaubte. War sein Beruf wirklich so leicht auszuüben? Wenn er ehrlich war, lautete die Antwort in vielen Fällen ja. Häufig half doch schon die Frage, was der Patient früher gegen sein Leiden eingenommen hatte, woraufhin man ihm dasselbe Präparat nochmals verkaufen konnte.
    Anders, da gab es keinen Zweifel, war es, wenn es an die Herstellung von Tinkturen, Extrakten, Salben oder Pillen ging. Dazu brauchte man Erfahrung und viel Geschick. Beides besaß der Imitator mit Sicherheit nicht. Ebenso, wie er nicht die Stimme von Rapp besaß. Doch wie abgebrüht er diese Schwäche überspielt hatte! Er hatte einfach eine Influenza vorgetäuscht.
    Während Rapp all dies bedachte, hatte er sich in Richtung St. Nikolai fortbewegt. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass seine Situation sogar noch ernster war als am Tag zuvor, denn die Hoffnung auf rückkehr in ein normales, geachtetes Leben hatte sich zerschlagen. Diese Erkenntnis traf ihn wie die Breitseite eines Kriegsschiffs.
    Gottlob war die kleine Bank, auf der er gestern gesessen hatte, abermals unbesetzt. Ein unverhofftes Glück angesichts der vielen Bettler, die ständig um die Kirche herumlungerten. Rapp ließ sich nieder und starrte Löcher in die Luft. Was soll das alles?, fragte er sich wieder und wieder. Durch die Schaffung eines Imitators wird so getan, als gäbe es mich gar nicht. Ich könnte ebenso gut verschwunden sein, niemandem würde es auffallen. Niemandem. Ist es das, was man bezweckt? Man hat mich einfach ersetzt. Der Doppelgänger hat meine Rolle übernommen. Wenn ich so unwichtig bin, warum hat man mich dann nicht getötet? Die Gelegenheit dazu war da, schließlich bin ich erst am Morgen, nachdem ich zu Boden geschlagen worden war, wieder wach geworden. Und wenn man mich nun gar nicht töten wollte? Ich wüsste allerdings nicht, warum. Nur eines weiß ich: Ich selbst habe zwei Menschen auf dem Gewissen ... Die Meisen waren wieder da. Sie flatterten und tschilpten und balgten sich wie gestern um einen Wurm. Rapp beneidete sie um ihre Unbekümmertheit. Was sollte er nur tun? Er konnte doch nicht tagelang wie ein Landstreicher in der Stadt umherziehen und so lange warten, bis es dem Imitator gefiel, das Feld zu räumen. Er musste eine Bleibe finden. Die Schwierigkeit war nur, dass er keinen in der Stadt gut genug kannte, um bei ihm Unterkunft zu erbitten. Selbst seine Apotheker-Kollegen hatte er nur ein paarmal flüchtig getroffen. Ja, wenn Witteke, sein ehemaliger Gehilfe, noch da gewesen wäre, hätte er ihn fragen können. Doch Franz Witteke hatte vor ungefähr einem halben Jahr seine Arbeit im Apothekenhaus Rapp von einem Tag auf den anderen gekündigt und war verschwunden. Ohne Begründung. Und ohne Gruß. Welch seltsames Gebaren! Doch wenn man es recht bedachte, hatte es zu dem undurchsichtigen Mann gepasst. Niemals hatte er etwas über sich erzählt. Nur dass er im Armenviertel um St. Jakobi wohnte, mehr nicht. Im Übrigen musste eingeräumt werden, dass Witteke ein tüchtiger Gehilfe gewesen war, der seine Arbeit verstand. Besonders in der Herstellung von Klistieren hatte er es zu hoher Meisterschaft gebracht. Rapp änderte seine Sitzposition und streckte das Bein mit den lädierten Zehen aus. Die Salbe war wirklich gut. Ob Witteke in ihr ebenfalls Symphytum officinale, Solidago virgaurea und

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