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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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doch nicht immerfort herumrennen, nur um sich warm zu halten? Linker Hand tauchten jetzt mehrere große Kauffahrer auf, dicke Pötte, die schon an die zwei Wochen im Hafen festsaßen, weil der Wind hartnäckig aus westlichen Richtungen hereinfegte. Rechts lag das Werftgelände, unterbrochen von Schuppen, Speichern und Lagerhallen. Rapp musste vorsichtig gehen, denn bei der feuchten Luft war das Kopfsteinpflaster glitschig. Hin und wieder versperrten ihm Kisten, Fässer und anderes Handelsgut den Weg.
    Rapp setzte sich auf einen Stapel Ladeholz und verschnaufte. Die Vorsetzen waren ihm nach seiner Apotheke der liebste Ort. Er war häufiger hier, denn hier spürte man am stärksten den Puls der Stadt. Hier war die Verbindungsstelle zur Welt, der Ausgangspunkt, um Ereignisse aus fernen Landen zu erfahren, Geschichten zu hören, mitgebrachte Kuriositäten zu bestaunen und zu erstehen. Hier kannte er sich aus. Rapp genoss das gemütliche Dümpeln der Schiffsleiber, das Knarren der Taue, das Ächzen der Planken. Er liebte das sanfte Licht der Hecklaternen und den regelmäßigen Schritt der Wachgänger. Ruhe herrschte allerorten und färbte endlich auch auf ihn ab.
    Nur der Hunger blieb.
    Nach einiger Zeit stand Rapp wieder auf. Es half nichts, sein Magen verlangte nach Nahrung. Während er weiterhumpelte, stellte er fest, dass seine Zehen geschmeidiger geworden waren; er konnte jetzt besser gehen, und wenn ihn nicht alles täuschte, hatten auch die Schmerzen nachgelassen. Dennoch musste er etwas essen. Unvermittelt stieg ihm ein Ekel erregender Geruch nach Süße und Fäulnis in die Nase. Er kam von einem Karren, der am Straßenrand abgestellt war. Rapp ahnte, woraus die Ladung bestand und behielt Recht. Es handelte sich um Tierhäute und Abfallknochen von Pferd, Rind und Schwein. Reste dessen, was Abdecker und Schlachter verarbeiteten. An manchen der Knochen hing noch reichlich Fleisch. Schwärme von Fliegen umsummten trotz der Dunkelheit den Karren. Rapp würgte und verwünschte alle Leimsieder und Knochenkocher dieser Welt. Zwar war am sechzehnten Oktober, dem Gallustag, der übliche Schlachttag für Ochsen gewesen, aber deshalb mussten sie ihre Wagen noch lange nicht überall stehen lassen. Konnten sie die Kadaverteile nicht unverzüglich nach Hause zu ihren Kupferkesseln bringen und einkochen? Dorthin, wo nur sie. den Gestank ertragen mussten?
    Rapp machte, dass er weiterkam. Ihm war der Appetit gründlich vergangen. Dafür war die Kälte wieder da. Wie quälend langsam die Zeit verrann! Wo konnte er nur hin? Vor ihm tauchte das Gelände eines Schiffsreparaturbetriebs auf. Eine Katze huschte vorbei und verschwand durch die angelehnte Tür des Werkstattschuppens. Rapp folgte ihr, vielleicht, weil sie das einzige Lebewesen weit und breit war. Im Schuppen herrschte tiefste Finsternis. Rapp streckte die Krücke nach vorn aus und tastete nach beiden Seiten seine Umgebung ab. Unvermittelt raschelte etwas. Er brauchte einige Zeit, um zu erraten, dass es Hobelspäne waren, die da lagen, dann hörte er ein Fauchen und kurz danach kleine, fiepende Geräusche. Die Katze! Hatte sie Junge? Auf jeden Fall musste es dort, wo sie Unterschlupf gefunden hatte, einigermaßen warm sein. Rapp setzte sich vorsichtig in die knisternden Späne. Sie piekten etwas, waren aber von angenehmer Temperatur. Die Katze schien sich beruhigt zu haben. Offenbar hatte sie erkannt, dass von dem Eindringling keine Gefahr ausging. Rapp streckte sich der Länge nach aus. Wie gut das tat! Erst jetzt merkte er, wie müde er war. Ein paar Stunden Schlaf, das war es, was er brauchte. Morgen früh musste er nur aufpassen, dass die Arbeiter ihn nicht fanden. Er hatte keine Lust auf noch mehr Begegnungen mit Leuten, die ihm übel wollten. Morgen früh. Da würde er bestimmt besser ausschreiten können. Womöglich brauchte er dann die Krücke schon nicht mehr.
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    Vorsichtig begann Rapp, mit den verletzten Zehen zu spielen. Ja, es ging tatsächlich besser. Die Schmerzen hatten nachgelassen. Ein Gefühl der Dankbarkeit durchrieselte ihn, als er an den Physikus de Castro dachte. Was wohl dessen selbst entwickelte Salbe enthielt? Er vermutete Symphytum officinale, Solidago virgaurea und Arnica montana, vielleicht auch Sanikel und Hamamelis, in jedem Fall ein Wallwurz-Gemisch. Wie bei allen Arzneien kam es auch hier besonders darauf an, wie viele Teile der einzelnen Drogen verwendet worden waren. Rapp gähnte. In seinem schläfrigen Hirn tauchte das Bild der Apotheke

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