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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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am Knoten ihres Schultertuchs nestelte, der sich alle Naslang löste, weil es so windig war. »Sie ist nicht richtig im Kopf. Ihre Mutter sagt, es war 'ne schwere Geburt gewesen, das Kind hätt zu wenig Luft gekriegt. Einen Vater gibt's nicht. Die alte Hille, so nennen wir die Mutter, ist gelähmt. Seit sie von der Leiter gefallen ist, ist alles taub bei ihr, von der Hüfte abwärts. Anders als Opa, sitzt sie seitdem nur noch in der Wohnung rum. Und backt Kuchen, jeden Tag. Weil sie selber früher Kuchenfrau war. Und Marie muss ihn dann verkaufen. Eigentlich kann sie's gar nicht, sie kann nur ihr Lied. Aber die Leute kennen sie schon. Sie nehmen sich ein Stück und geben ihr dafür, was sie haben.« »Wer kauft denn die Zutaten für den Kuchen?«, fragte Rapp. »Meistens Isi. Aber auch die anderen Kinder vom Hof. Dafür kriegen sie dann ein Stück ab, wenn was übrig ist. Du wirst's gleich sehen, wenn wir zurück sind.«
    Rapp meinte nachdenklich: »Isi ist so ganz anders als die übrigen Kinder. Ich meine damit nicht, dass sie die Anführerin ist, sondern ihre Kleidung. Während die Hofgören fast in Lumpen herumlaufen, trägt sie saubere Sachen und sogar Schuhe. Und sie scheint auch sehr darauf zu achten, sich nicht schmutzig zu machen.«
    »Sie ist kein normales Kind. Ich mag sie. Gibt keine Geheimnisse zwischen uns. Nur über ihre Mutter, da redet sie nicht. Und nicht über ihr Zuhause. Sie hat keine Geschwister, und der Vater ist schon lange tot. Ich glaub, lach jetzt nicht, ich glaub, sie verachtet ihre Mutter. Auch wenn die wohl viel Geld hat. Könnt sonst ihre Tochter nicht aufs Johanneum schicken. Auf jeden Fall ist Isi ein feiner Kerl und gehört zur Familie von Opas Hof.« Mine fröstelte und zog ihr Schultertuch fester um sich. »Komm durch den Gang, wir sind da.« Im Hof gab es das übliche Geschrei, als die Vier eintrafen. Die Koken-Marie wurde bei der Hand genommen und gegen eine Wand gestellt, wo sie automatisch zu singen begann, während die Kieselsteinwerfer übergangslos ihr Spiel wieder aufnahmen^ Rapp verfolgte fasziniert die Geschicklichkeit der Kinder und wunderte sich, in welch kurzer Zeit der Sieger feststand. Es war diesmal ein kleines Mädchen, das vor Freude von einem Bein aufs andere hüpfte und immerfort krähte: »Ik heff wünn, ik heff wünn!« Dann sprang die Kleine auf die Koken-Marie zu und nahm sich das Krümelstück. Schon wollte sie es in den Mund schieben, als sie unvermittelt innehielt. In ihrem Gesichtchen arbeitete es. Sie focht einen inneren Kampf aus, der, wie sich zeigte, zu Gunsten der Allgemeinheit ausging, denn Augenblicke später teilte sie das Stück mit den anderen. Rapp schmunzelte. Es war schon beachtlich, wie der Hof zusammenhielt. Aus der anderen Ecke meldete sich eine quengelige Greisenstimme: »Hööö, wat hebbt jüm allens mitbracht?« Das war Opa, der wissen wollte, was eingekauft worden war.
    Mine ging auf ihn zu, und Rapp folgte ihr langsam. Mine sagte vorwurfsvoll: »Vorhin hast du noch gesagt, du kannst Hooch-düütsch, Opa.« »Kann ik ok.«
    »Und warum sprichst du's dann nicht? Du weißt doch, dass Teo Platt nicht so gut versteht.«
    »Ach so.« Opa mummelte verlegen und setzte dann einen Tobackstrahl auf die Spitze des Misthaufens. »Mein's ja nich so. Nix für ungut, nich. Un nu verteilt mi... äh, un nu erzählt mal, was ihr da habt. Alte Leute sin neugierig.« Er grinste, und abermals zersprang sein Gesicht in tausend Fältchen, so wie Rapp es schon kannte.
    Mine zeigte die im Apothekenhaus erstandenen Medikamente, und Rapp musste haarklein erklären, wozu sie nützlich waren. Als er geendet hatte, sagte Opa: »Un Hühnerfett habt ihr nich gekriegt? Ich sag dir was, Teo, Schweinefett is auch gut. Tu mich mal hochheben un trag mich runter inne Wohnung.«
    Rapp spürte eine gewisse Scheu, den Alten anzufassen, überwand sich aber und hielt ihn alsbald wie einen Säugling im Arm. Opa fühlte sich offenkundig wohl in luftiger Höhe, denn er blickte vergnügt um sich und kommandierte mit durchdringender Stimme: »Drei Stufen runter un rein in die gute Stube. Sooo, un sooo, nee, nich da rein, da steht die Sau.« »Die Sau? Was für eine Sau? Willst du damit sagen, du hast hier eine ...«
    »Pssst, nich so laut, muss nich gleich jeder mitkriegen, dass ich'n büschen Lebendproviant hab, nich? Na, is egal, wissen's sowieso alle aufm Hof, un du bist jetzt ja einer von uns.« »Wenn du es sagst.« Rapp horchte in sich hinein und stellte fest, dass er sich

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