Tod im Apotherkerhaus
tatsächlich etwas geschmeichelt fühlte. Er trug Opa an dem klapprigen Verschlag vorbei, hinter der er nun auch grunzende Laute zu vernehmen glaubte. Der stinkende Misthaufen im Kelleraufgang machte plötzlich ebenfalls Sinn.
»So, nu haltstopp. Kannst mich noch tragen?« »Natürlich, Opa.«
Der Alte kicherte und befühlte Raps' Bizeps. »Hast tüchtig Muckis. Hatt ich auch früher, als ich noch'n junger Kerl war, aber is lange her. Is lange her.« »Was hast du eigentlich vor, Opa?«
»Das möchtst wohl wissen, was?« Wieder kicherte der Alte und schob sich den Priem auf die andere Seite. »Mach mal die Tür da auf.«
Was Opa als Tür bezeichnete, war eher eine Ansammlung von zusammengenagelten Brettern mit einem ausgeleierten Vorreiber, aber Rapp gehorchte und schob den Hebel nach oben. Die Tür schwang nach innen auf und gab den Blick auf einen Raum frei, der gerade so groß war, dass ein Mann in gebückter Haltung darin stehen konnte. So abweisend die Kammer wirkte, so verlockend war der Duft, der ihr entströmte. Es roch verführerisch nach Schinken und Rauchspeck, und eben diese Köstlichkeiten erkannte Rapp, als er näher hinsah. Sie hingen von der niedrigen Decke herab, als warteten sie nur darauf, mitgenommen zu werden.
• Nimm dir'n Stück Speck, mien Jung, un denn reibst du dir die Schnuut damit ein. Sollst sehen, is genauso gut wie Hühnerfett » Hab mir früher auch schon mal den Pelz angekokelt. Bin Schlosser gewesen. Aufer Werft, weißt du. Ja, ja, is lange her.« Opa guckte ein wenig traurig, riss sich dann aber von der Vergangenheit los. »Nu mach schon.«
Rapp packte mit der freien Hand eine Speckseite und drückte sie sich zögernd aufs Gesicht. •Ja, so. Doller!«
Rapp wiederholte den Vorgang, wobei er sich reichlich albern vorkam, und wollte das Stück zurückhängen. Doch Opa wehrte ab: »Nee, nee, is'n Geschenk von mir. Bring's Mine mit, dann habt ihr was zum Abendbrot, nich. Un nu will ich wieder rauf.«
•Ja, Opa.« Rapp, auf der einen Seite den Speck und auf der an-, deren Seite den Alten im Arm, kletterte wieder ans Tageslicht. Oben setzte er Opa auf dem Rollbrett ab und war überrascht, als er Mine noch immer am selben Fleck stehen sah. Sicher hatte es nichts zu bedeuten, aber er freute sich trotzdem, dass sie auf ihn gewartet hatte, umso mehr, als die Koken-Marie und Isi schon fort waren. Dafür waren alle anderen Kinder noch da. Sie hatten beim Kieselsteinwerfen eine Pause gemacht und spielten nun Seilhüpfen. Das war die Gelegenheit für den kleinen Pinker . Er stahl sich unbemerkt davon, lief auf den alten Topf zu und pisste, ohne dass es jemand bemerkte, in hohem Bogen hinein.
Rapp und Mine stießen sich an. Die Situation war so komisch, das sie einfach lachen mussten. Prompt wurden die Kinder auf sie aufmerksam und entdeckten die neuerliche Missetat des kleinen Rackers. Einen Wimpernschlag später jagten alle hinter ihm her.
Immer noch lachend, stiegen Rapp und Mine hinauf in die kleine Mansardenwohnung.
Der Nachmittag verlief harmonisch. Mine saß am großen Nähtisch und arbeitete. Rapp hatte schräg hinter ihr auf dem Schemel Platz genommen und hing seinen Gedanken nach. Im Gegenlicht der Sonne wirkten ihre Haare wie ein goldener Kranz. Wie hübsch das aussah! Endlich konnte er sie einmal ohne Haube sehen. Sie hatte ihr flachsblondes Haar streng zurückgekämmt und hinten zu einem Knoten gebunden. Jetzt begann sie, ein Lied zu summen, eine fröhliche, leichte Weise. Rapp musste an den Kammermusikabend denken. Welch ein Unterschied zwischen den aufgedonnerten Frisuren dort und Mines natürlicher Haartracht, die ohne Löckchen und Puder, ohne Schleifen und Bändchen auskam. Welch ein Unterschied zwischen den protzigen, reich bestickten Reifröcken mit ihren Fischbeingestellen und Mines schmal geschnittenem Kattunkleid. Welch ein Unterschied zwischen dem nicht enden wollenden Gefiedel der Agosta-Brüder und Mines einfachem Lied. Er ertappte sich dabei, dass er mitzusummen versuchte, und stellte fest, dass er sich in ihrer Mansarde hundertmal wohler fühlte als in dem lindgrünen Salon der Lüttkopps. Auf die so genannte feine Gesellschaft konnte er gut verzichten. Aber das war schon immer so gewesen. Wenn er doch nur nicht in diesen grässlichen Schwierigkeiten steckte!
Mine drehte sich halb zu ihm um und sprach in seine Gedanken hinein: »Was willst du eigentlich mit dem ganzen Arzneikram, Teo? Brauchst doch nur das Hühnerfett. Und dafür hat Opa dir die Speckseite
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