Tod im Apotherkerhaus
Imitator schien beruhigt. »Dann darf ich annehmen, Ihr habt alles und ...«, begann er nochmals, aber Mine unterbrach ihn. Erst musste sie Isi noch die Möglichkeit verschaffen, unbemerkt wieder herunterzukommen. »Ich brauch noch Wollfett vom Schaf und Johannisöl, Herr Apotheker. Ja, das brauch ich. Ich glaub, es ist auch hinten. Tut mir Leid, ich hätt gleich dran denken müssen, aber Ihr sagt ja selbst, das Zipperlein, das Zipperlein ...« Der Imitator war schon unterwegs.
Mine erhob wieder die Stimme, damit sie gut hörbar war. »Ich glaub, Ihr habt zwei Sorten Johannisöl auf Vorrat, ich hatt letztes Mal das in dem grünen Glasgefäß! Lasst Euch nur Zeit!« Während sie das rief, kam Isi auf Zehenspitzen die Treppe wieder herunter. Mine spürte, wie ihr ein Mühlstein vom Herzen fiel, und scheuchte die Kleine, die sofort berichten wollte, hinaus auf die Straße zu Teo. Dann lief sie um den Rezepturtisch herum und suchte die Schublade ganz rechts unten. Diese Lade trug die Aufschrift Pecunia Rappis und war sozusagen Rapps offenes Geheimfach. Ursprünglich war es nur ein Ort gewesen, an dem er unter getrockneter Melisse seine Münzen versteckt hielt, später hatte er sich einen Spaß daraus gemacht, dieses Fach Pecunia Rappis zu benennen, was nichts anderes hieß als »Rapps Geld«. Noch später war ihm eingefallen, dass die Kennzeichnung für jeden Dieb, der des Lateinischen mächtig war, geradezu eine Einladung bedeuten musste. Trotzdem hatte er alles beim Alten belassen, denn welcher Langfinger beherrschte schon die Sprache der Wissenschaft. Mines geschickte Hände gruben sich unter die Kräuterschichten und fanden alsbald eine Reihe von Münzen. Rasch steckte sie das Geld ein und eilte zurück an ihren Platz. Keine Sekunde zu früh, wie sich zeigte, denn schon erschien der Imitator wieder, eine Falte des Unmuts im Gesicht.
»Ihr müsst Euch irren. Im hinteren Vorratsraum befindet sich nicht das Verlangte.«
»Nanu?«, tat Mine überrascht. »Das wundert mich. Vielleicht habt Ihr Eure Arzneien umgeordnet? Vielleicht sind die Sachen jetzt hier vorn?« Dass dem so war, wusste sie, und es dauerte auch nicht lange, bis der falsche Apotheker die Medikamente entdeckt hatte. Mine bat, ihr alles nur ja recht sicher einzupacken, und fragte dann, wie viel sie schuldig sei. »Nun, nun ...« Der Imitator nannte nach Gutdünken einen Betrag.
Mine machte ein entrüstetes Gesicht. »Das ist aber ein stattliches Sümmchen, Herr Apotheker! Letztes Mal habt Ihr nur die Hälfte verlangt. Aber lasst gut sein, heutzutage wird ja alles teurer und nix billiger.« Sie legte einige von Rapps Münzen auf den Tisch, nahm die Medikamente und sagte im Hinausgehen: »Einen guten Tag, Herr Apotheker.« Lieber hätte sie ihm die Pest gewünscht.
»Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr«, sagte Rapp, der mit Isi hundert Schritte entfernt wartete. Seine Stimme klang keineswegs vorwurfsvoll, sondern eher beschwingt, was daran lag, dass die kleine Spionin ihm frohe Kunde überbracht hatte. Im zweiten Stock seines Apothekenhauses schien nichts gestohlen worden zu sein. Zwar hatte Isi einige Unordnung entdeckt, unter anderem mehrere herausgezogene Schubladen, die kreuz und quer auf dem Boden lagen, aber sonst war alles noch in schönster Ordnung gewesen. Jedenfalls, soweit ihr ungeschultes Auge das beurteilen konnte. »Hühnerfett hatte er nicht«, sagte Mine. »Aber sonst hab ich alles gekriegt.«
»Sehr gut«, lobte Rapp. »Das mit dem Hühnerfett ist nicht schlimm, obwohl ich es selbstverständlich vorrätig habe. Es befindet sich in einem Albarello auf dem hinteren Schrank, allerdings in der zweiten Reihe. Habe ich das nicht gesagt?« Mine schüttelte den Kopf.
»Nun ja, tut mir Leid. Meinst du, er hat gemerkt, dass du, äh, keine >richtige< Kundin bist?«
»Bestimmt nicht.« Mine guckte spitzbübisch. »Weil er selbst kein richtiger Apotheker ist. War ja viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, der Scharlatan. Wusste nix und musste dauernd so tun, als wär's nicht so.«
Rapp horchte auf. Wenn dem Imitator bewusst war, dass er seine Sache schlecht machte, würde er vielleicht Sorge haben, sich selbst zu entlarven - und zukünftig fortbleiben. Was wiederum bedeutete, dass er, Rapp, endlich zurückkehren konnte in sein normales Leben. »Ist das deutlich geworden?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Für mich, ja. Hast mir aber auch vorher alles erklärt. Andere werden's wohl nicht so merken. Die Leute sehen nur, was sie sehen
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