Tod im Beginenhaus
sich zu erheben. Er sah Adelina zu, wie sie den Hirsebrei in eine Holzschüssel umfüllte, dabei jedoch einen Rest zurückhielt, den sie mit kleinen Apfelstückchen mischte und mit Dickmilch übergoss. Er hob fragend die Augenbrauen.
«Das ist für Vitus», erklärte sie. «Er will den Brei sonst nicht essen.»
«Er ist ein lieber Junge.»
Adelina runzelte die Stirn.
«Warum sagt Ihr das?»
«Warum sollte ich das nicht sagen?» Der Medicus betrachtete aufmerksam ihr Gesicht, das eine abweisende Miene angenommen hatte.
«Ihr braucht mir nicht zu schmeicheln. Vitus ist seit seiner Geburt so. Er hat den Verstand eines Dreijährigen.»
«Er ist ein lieber Junge», wiederholte der Medicus einfach. «Was ist mit Eurer Mutter?»
«Sie hat seine Geburt nicht überlebt. Und er wäre ihr sicher gefolgt, wenn Vater nicht dafür gesorgt hätte, dass die Hebamme alles für ihn tat, was möglich war.»
Adelina wandte sich ab und säuberte den Kochtopf von den Hirseresten. Magister Burka griff nach seinem Krug und machte sich auf den Weg zur Zisterne.
Das Haus des Apothekers Merten lag direkt am Alter Markt. Kurz nach Tagesanbruch konnte Adelina schon zuschauen, wie die ersten Marktbuden geöffnet wurden und die Bauern und Kaufleute ihre Waren ausbreiteten.
Sie zog rasch ihren Mantel über und griff nach dem großen Weidenkorb. Je früher sie ihre Einkäufe erledigte, desto schneller konnte sie sich ihren anderen Aufgaben widmen. Neklas Burka verließ mit ihr zusammen das Haus. Wie er ihr erklärte, wollte er sich auf den Weg zur Universität machen. Magister Arnoldus, ebenfalls ein Medicus, der hauptsächlich die Scholaren betreute, habe ihn zu sich gebeten.
Als die Marktglocke den neuen Verkaufstag einläutete, stand Adelina bereits an einem der Fleischstände und suchte sich zwei große Hühner aus, die geschlachtet,aber noch nicht gerupft waren. Speck, verschiedene Gewürze und noch einige andere Zutaten wanderten in ihren geräumigen Korb, noch bevor das Gedränge auf dem Marktplatz begann. Sie brachte ihre Einkäufe nach Hause und ging gleich darauf wieder los. Diesmal schlug sie den Weg in Richtung Dombaustelle ein. Eselskarren mit Bauholz versperrten die Straße. Wie jedermann in Köln wusste, verfolgte Erzbischof Friedrich von Saarwerden das ehrgeizige Ziel, das mächtige Bauwerk noch zu seinen Lebzeiten zu vollenden. Als sie die Baustelle endlich passiert hatte, bog sie in Richtung St. Gereon ab und dann noch einmal beim Blidenhaus, in dem die städtischen Waffen aufbewahrt wurden. Mägde und Hausfrauen mit Kannen und Eimern eilten über die Straßen zu den Brunnen, und mehrmals musste Adelina den Sänften vornehmer Bürger ausweichen. An einem umzäunten Gebäude mit hohen schmalen Fenstern blieb sie schließlich stehen und klopfte an das schwere Eichentor. In der Sichtluke erschien ein rundes Frauengesicht; gleich darauf wurde die Pforte geöffnet.
«Guten Morgen, Schwester Agathe.» Lächelnd nickte Adelina der beleibten Frau mit dem freundlichen Mondgesicht zu. «Ist Irmingard im Haus? Sie wollte mir eine Bestellung über verschiedene Arzneien geben.»
«Schwester Irmingard ist in der Kapelle. Heute Nacht ist eine alte Bettlerin gestorben, und Pfarrer Simeon hat angeordnet, sie soll auf dem Spitalsfriedhof beerdigt werden. Schwester Irmingard kümmert sich darum, dass die Frau ein Leichentuch bekommt.»
«Nun gut, dann werde ich einstweilen im Hospital vorbeischauen. Ein bisschen Hilfe ist dort sicher willkommen.»
Adelina sah kurz an dem weiß getünchten Gebäudeempor und trat dann durch die Eingangstür in das von den Beginen unterhaltene Hospital. Im Gegensatz zu den Klosterspitälern war es ihr hier möglich, den frommen Frauen auszuhelfen, ohne selbst einem Orden beitreten zu müssen. Die Beginen lebten zwar in einer tugendhaften und durch Gebet und Arbeit geregelten Gemeinschaft; sie hatten jedoch kein Gelübde abgelegt. Sie trugen alle die einheitliche graue Beginentracht, bestehend aus einem einfachen Kleid und einer züchtigen Haube mit Gebende, um zu zeigen, dass sie keusch und bescheiden lebten, denn dies war eine der Auflagen, die die Kirche ihnen machte.
Ein schmaler Gang führte zu einem Saal mit unzähligen einfachen Strohbetten, von denen etwa die Hälfte belegt war. Es roch beißend nach den frischen Kräutern, die den Fußboden bedeckten, und nach der Seife, die in einem der Nebenräume gesiedet wurde.
Ein hölzerner Wandschirm trennte den Raum in der Mitte. Dahinter befand sich
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