Tod im Botanischen Garten - Frank Beauforts dritter Fall
geglaubt, als wir Ihnen gesagt haben, dass Tom Schifferli ermordet wurde«, schaltete Beaufort sich ein, »und das hat sich als ziemlicher Fehler herausgestellt.«
Schnappauf rieb sich die Schläfen und atmete mehrmals hintereinander tief ein und aus. Offenbar sein persönliches Deeskalierungsprogramm. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, sagte er leise und drohend: »Wisst ihr, was ich an euch Intellektuellen nicht ausstehen kann? Ihr kennt euch vielleicht auf einem einzigen Gebiet gut aus. Doch ihr glaubt, dass ihr auf allen anderen Gebieten genauso mitgackern könnt. Aber das könnt ihr eben nicht! Und deshalb fahren wir jetzt alle in diese verdammte Drogensammlung, damit ich euch eine Lektion erteilen kann in puncto Dichtung und Wahrheit.«
»Oh, ein Goethe-Zitat aus Ihrem Munde. Wer hätte das gedacht.«
Der Kommissar sah Beaufort entnervt an: »Da! Sie tun es schon wieder. Sie geben schon wieder ungefragt Ihren gelehrten Senf dazu.«
*
Kurz darauf betrat die kleine Gruppe das Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie in der Schuhstraße, das nur wenige Gehminuten vom Schlossgarten entfernt lag. Es dauerte eine Weile, bis die Kuratorin den Hausmeister und der wiederum den Schlüssel zur Martius-Sammlung aufgetrieben hatte. Aber schließlich stiegen sie die Treppen ins oberste Stockwerk hinauf, wo der Hausmeister eine stickige, heiße Dachkammer öffnete.
»Ist ja mächtig was los in Ihrer Pharmakustik-Sammlung. Ich bin schwer beeindruckt«, sagte Schnappauf ironisch.
»Pharmakognostik«, verbesserte Dr. Neudecker, zog die Vorhänge auf und öffnete die Fenster, damit Luft hereinkam. »Diese Sammlung wird schon ewig nicht mehr in der Apothekerausbildung benutzt. Pharmazeuten müssen heute keine Arzneirohstoffe mehr kennen, sondern nur noch die Moleküle, aus denen sie bestehen. Aber die Martius-Sammlung ist noch von großem wissenschaftsgeschichtlichen und kulturhistorischen Wert.«
»Und auch ästhetisch ansprechend«, ergänzte Beaufort, der die schönen alten Apothekerschränke mit Hunderten von Schubladen und Tausenden von kleinen Standgläsern bewunderte, in denen sich diverse Arzneirohstoffe befanden. Die mussten aus der ganzen Welt stammen. Was sich dahinter wohl alles für Geschichten verbargen?
»Hier drinnen lagern rund zweitausendfünfhundert verschiedene Rohstoffe, aus denen man einst Medikamente gemacht hat. Die meisten Exponate sind älter als hundertfünfzig Jahre«, erklärte die Kuratorin.
»Dann werden die ja noch unheimlich wirksam sein nach der langen Zeit«, höhnte der Kommissar, trat an einen der Vitrinenschränke und spähte hinein. »Sehe ich da wirklich Muskatnüsse in dem Glas? Sie sammeln hier Gewürze und wollen mir weismachen, dass da Gift lagert?«
»Hier wird alles aufbewahrt, dem man früher eine therapeutische Wirkung zuschrieb. Von der damals wirklich exotischen Muskatnuss über die Alraunenwurzel bis hin zur Spanischen Fliege.«
»Spanische Fliege, haha. Die wirkte bestimmt nicht so wie Viagra, was?«
Beaufort bewunderte die geradezu sphinxhafte Ruhe Neudeckers. Ihn trieb Schnappauf schon wieder zur Weißglut. »Wie Sie meinen«, entgegnete er, »außer Ihnen dürfte hier wohl niemand mit der Wirkung von Potenzmitteln vertraut sein.«
Wenn Blicke töten könnten, würde der des Kommissars Beaufort unwiderruflich ins Jenseits befördert haben.
»Schluss jetzt mit dem Unfug. Wo ist denn nun Ihr sagenhafter Giftschrank?«
Dr. Neudecker beugte sich hinab und schloss eine Schublade auf, in der sich in Holzfächern tatsächlich allerlei Flakons mit toxischen Substanzen befanden. In altertümlicher, aber gut entzifferbarer Schrift lasen sie Etiketten wie Skorpionpulver, Bilsenkrautsamen, Tarantelgift, Brechnuss, Eibenblätter, Vipernküchlein, Pfaffenhütchensamen. Einzig das Fach mit der Aufschrift Kurare war leer.
9. Touché – Mittwoch, 20. Juli
Die Amsel auf dem Dach und die anderen Singvögel feierten das Licht des anbrechenden Tages, als gäbe es keinen Tod und keine Düsternis. Das erste Mal seit zehn Tagen ging die Sonne nicht über einem blauen, sondern über einem milchig weiß eingetrübten Himmel auf. Die Hitze aber war noch stärker geworden, hatte sich mit der in den Steinen der Stadt gespeicherten vermischt und zu einer schwer erträglichen Schwüle gewandelt. Die Luft war wie angedickte Bratensoße, und jeder, der sich ins Freie wagte, wurde in sie hineingetunkt. Es war ein Tag, an dem sich die Notaufnahmen der Kliniken auf eine höhere
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