Tod im Dom
jahrzehntelang bespitzeln und terrorisieren lassen! Und daß du in Mordverdacht geraten bist, ist auch seine Schuld.«
Die Nebelhornhupe des Mantas tutete, als wäre uns ein Supertanker auf den Fersen. Ich wackelte mit den Zehen, um die Durchblutung meiner verrenkten Beine zu fördern, und warf einen Blick nach hinten. Der Manta war uns so nah, daß ich das in dämonischer Wut verzerrte Gesicht des Fahrers deutlich erkennen konnte. Plötzlich tat er mir leid.
»Hab’ Erbarmen«, bat ich Anja. »Laß ihn vorbei. Sonst platzt er noch. Diese Mantafahrer sind sensible Menschen. Man sollte mit ihnen keine Scherze treiben.«
Zu meinem Erstaunen kam sie meiner Bitte sofort nach und räumte die Überholspur. Wie von einer ungeheuren Last befreit, schoß der Manta an uns vorbei. Der Fahrer zeigte uns den schlimmen Finger, ließ ein letztes Mal das Nebelhorn tuten und gab dermaßen viel Gas, daß eine ganze Nebelbank aus seinem Auspuff quoll.
Sekunden später war er nur noch ein Punkt in der Ferne.
Anja kehrte auf die linke Spur zurück.
»Halt dich fest!« sagte sie mit funkelnden Augen. »Dem werd’ ich’s zeigen, einen armen kleinen Trabbi zu quälen!«
»O nein!« rief ich.
»O ja!« sagte sie und trat das Gaspedal durch.
Ich klammerte mich ans Armaturenbrett und begann zu beten. Der Motor röhrte in wildem Triumph, die Plastekarosserie knirschte und knarrte, ratterte und schepperte, und der Trabbi ging ab wie eine Rakete.
Ich schloß für eine Weile die Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatten wir den Manta eingeholt. Ich sah, wie der Fahrer sich kurz umdrehte, entsetzt die Augen aufriß und beschleunigte, aber Anja gab nicht auf.
Sie holte das letzte aus dem frisierten Trabbi-Motor heraus und jagte den Manta gnadenlos über die Autobahn.
Eine halbe Stunde später blieb der Manta mit rauchendem Kühler auf dem Seitenstreifen liegen, besiegt, geschlagen, vernichtet, und wir rauschten hupend und winkend an ihm vorbei. Der Fahrer starrte uns nach, totenbleich, dem Wahnsinn nahe und mit zornig gegen den Himmel gestreckten Fäusten seinen Manta verfluchend, der sich als zu schwach erwiesen hatte im Duell gegen Anjas rosaroten Trabbi.
Die Adresse auf der Todesliste – falls es eine Todesliste war, was ich in unser aller Interesse nach wie vor stark bezweifelte – entpuppte sich als luxuriöses Kurhotel fernab der Schwarzwald-Hochstraße. Es war ein terrassenförmiger, mit jeder Menge Holzverschalungen und Grünzeug auf Biowohnen getrimmter Betonbau, der an einem bewaldeten Hang über einem stillen Tal thronte, wie man es idyllischer nur noch auf retuschierten Postkarten findet. Frischgefallener Schnee hatte alles wie mit Puderzucker überstäubt, ein geschwollener Vollmond warf kaltes Silberlicht über die Tannenspitzen, und von der anderen Seite des Tals schickten die Lichter des Kurhotels warme Grüße in die kristallklare Nacht.
Der Lichtergruß täuschte.
Endlich am Hotel angekommen, standen wir vor verschlossenen Türen; ein Schild verkündete, daß im Interesse des Kurerfolgs auf Besuche nach 22 Uhr radikal verzichtet werden mußte. Aber ich war nicht bereit, so schnell aufzugeben, und klingelte den Nachtportier heraus. Er schien nicht begeistert über die Störung, und als ich uns als Schönbrunns arme Verwandte aus Mecklenburg-Vorpommern vorstellte, die dringend ihren reichen Westonkel sprechen mußten, sank seine ohnehin frostige Stimmung auf unter Null.
»Vielleicht könnten Sie für uns eine Ausnahme machen«, meinte ich. »Schließlich sind wir Ihre Brüder und Schwestern aus dem Osten!«
»Unverschämtes Pack!« krähte er. »Eine Ausnahme! Es ist nicht zu fassen! Als nächstes wollt ihr auch noch was Bares auf die Hand, oder was? Wir zahlen schon genug für euch Gesindel! Über hundert Milliarden in einem Jahr! Und was macht ihr Tagediebe mit unserem Geld? Eine Spritztour in den Schwarzwald! Geht erst mal arbeiten! Krempelt die Ärmel hoch! Spuckt in die Hände und baut was auf! Wir mußten es auch tun, uns hat niemand was geschenkt! Verschwindet! Verschwindet endlich, oder ich rufe die Polizei!«
Wir verschwanden.
»So was passiert einem als Ossi jeden Tag«, sagte Anja mit traurigen Augen. »Am Anfang gab’s Sekt und Bananen, jetzt gibt’s nur noch Beleidigungen. Ich verstehe das nicht. Was haben wir euch denn getan? Wir sind doch auch Deutsche!«
Ich war zu müde, um mit ihr über das delikate innerdeutsche Verhältnis zu diskutieren. Und ich war noch viel müder, als wir nach
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