Tod im Dom
langer Irrfahrt endlich ein Hotel fanden, das bereit war, zwei armen Ossis gegen schlappe dreihundert Mark Unterkunft zu gewähren.
In dieser Nacht kuschelte sich Anja nicht an mich, und das irritierte mich mehr, als mir recht war. Nicht, daß ich mich danach sehnte. Oder daß ich es brauchte. Aber trotzdem.
Am nächsten Tag fuhren wir in aller Frühe wieder zum Kurhotel. Als wir auf dem Parkplatz hielten, trabte ein drahtiger, silberhaariger Kurgast im Nike-Jogginganzug auf unseren Trabbi zu und grinste uns wohlwollend-überlegen an.
»Aus’m Osten, was?« sagte er fachmännisch und klopfte gegen die Plastekarosserie. »Muß ’ne echte Tortur sein, in so ’ner Kiste zu fahren. Ich hab’ ja ’nen Opel Senator, 204 PS, 235 Spitze, elektrisches Schiebedach, Klimaanlage, beheizbare Wischerdüsen. Tolles Ding, ’n richtiges Auto. Hat mich siebzig Riesen gekostet, aber Spaß muß sein.«
»Sie sagen es, guter Mann, Sie sagen es«, seufzte ich.
»Kopf hoch, irgendwann werdet ihr’s im Osten auch zu was bringen. Dann könnt ihr euch auch so tolle Autos leisten wie wir im Westen. Natürlich müßt ihr erst richtig arbeiten lernen, aber dann…«
»Tausend Dank für den Tip«, sagte ich und zog Anja eilig zum Eingang.
Die Lobby war gut geheizt, aber die Frau am Empfang sah uns mit einem derart eisigen Gesichtsausdruck entgegen, als hätte sie die letzten Jahre in einer Tiefkühltruhe verbracht.
»Sie wünschen?« fragte sie schroff.
Ich spulte meine Geschichte von den armen Verwandten aus Mecklenburg-Vorpommern ab und schloß: »Wo finden wir Onkel Wolf? Es ist wirklich dringend – eine Familienangelegenheit …«
»Ach, Sie sind das, die meinen Mann zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett geklingelt haben.« Ihre Blicke wanderten von mir zu Anja und wieder zurück, und ihre Verachtung für uns Ossis schwappte wie eine unsichtbare Woge Schmutzwasser über den Empfangstisch. »Vielleicht ist das bei Ihnen im Osten so üblich; hier im Westen haben wir noch so was wie Manieren.«
»Tut mir wahnsinnig leid«, versicherte ich, »doch es handelte sich sozusagen um einen Notfall. Mein Onkel…«
»… ist nicht mehr bei uns«, unterbrach sie. Etwas wie Grausamkeit glitzerte in ihren Augen. »Er ist tot. Er ist vor einer Woche gestorben.«
Es war, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Tot. Schönbrunn war tot. Wie Pastich.
»Der arme Onkel Wolf!« sagte Anja so erschüttert, als hätten wir tatsächlich einen lieben Verwandten verloren. »An was ist er denn gestorben?«
»Bedaure, das kann ich Ihnen nicht sagen.« Die Empfangsdame raffte eine Handvoll Papiere zusammen und tat ausgesprochen beschäftigt. »Wo kämen wir denn hin, wenn wir jedem Dahergelaufenen Auskunft über unsere Gäste geben würden?«
»Aber wir sind seine Verwandten!« protestierte ich.
Sie funkelte mich an. »Tatsächlich? Können Sie das beweisen?«
Das konnte ich nicht. Während ich noch überlegte, ob ich mich renitent geben und nach dem Direktor schreien sollte, sah ich aus den Augenwinkeln den silberhaarigen Drahtigen. Er war uns in die Lobby gefolgt und hatte das Gespräch offenbar mitgehört. Er gab mir einen Wink und spazierte wieder nach draußen. Anja und ich spazierten hinterher.
»Schönbrunn war also Ihr Onkel?« sagte er.
»Sie kannten ihn, Herr…?«
»Eduard Reutling – Ede für die Verwandten meines toten Zimmernachbarn. Ja, ich kannte ihn, kannte ihn sogar gut. Wir haben uns ein paarmal heimlich davongemacht, ’n Bierchen trinken im Städtchen, die Puppen tanzen lassen und so weiter. Hier gibt’s nur Mineralwasser und Kräutertee. War ’ne harte Zeit für Ihren Onkel – wo er doch so gern einen gebechert hat.«
Reutling zwinkerte mir zu, und ich zwinkerte zurück.
»’ne echte rheinische Frohnatur«, fuhr er munter fort. »Wollte sich nach der Kur ein Häuschen in Spanien kaufen und für den Rest seines Lebens rauschende Feste feiern. Ich hielt das zunächst für Spinnerei – er war ja nur Fahrer bei ’ner Kölner Spedition – aber er sagte, er hätte ’ne große Erbschaft gemacht. Hat auch immer alles bezahlt, wenn wir auf Tour waren – Schampus, Weiber, einfach alles. ’n toller Hecht, nun leider tot.«
Eine große Erbschaft? Wirklich? Oder hatte Schönbrunn sein lockeres Kurleben mit dem Profit aus den Koko- Geschäften finanziert?
»Aber woran ist er gestorben? War er sehr krank?« Hastig fügte ich hinzu: »Wir hatten kaum Kontakt mit ihm. Erst vor ein paar Tagen haben wir
Weitere Kostenlose Bücher