Tod im Dom
drängte sie. »Lies, was da steht!«
Resignierend erfüllte ich ihre Bitte und las laut die riesige Schlagzeile vor.
»Mord im Dom. Das überrascht mich nicht. He, ich war schließlich dabei!«
»Nicht die Schlagzeile; ein paar Zeilen tiefer! Unter dem Foto des Toten. Da steht, wie der Ermordete heißt!«
Ich gähnte, rieb mir den Schlaf aus den Augen, setzte mich widerwillig auf und griff nach der Zeitung. Eine Zehntelsekunde später war ich wie elektrisiert.
Ich kannte den Namen des Toten.
Pastich.
Otto Pastich.
Das war der erste Name auf der Liste, die ich in der Tasche des Killers gefunden hatte! Und das bedeutete…
»O nein!« sagte ich und senkte die Zeitung.
»O ja«, nickte Anja. Plötzlich hatte sie wieder dieses überirdische Leuchten in den Augen. Wie gestern während der mörderischen Autojagd. »Aber das ist längst noch nicht alles. Lies weiter. Es kommt noch besser.«
»Meinst du damit mein Fahndungsfoto? Wo ist es? Auf Seite zwei? Ich hoffe nur, es sieht mir nicht ähnlich. Oder meinst du die Lügen, die man über mich verbreitet?«
Anja schüttelte den Kopf. »Ich sage nur ein Wort, Harry, dann wirst du begreifen, warum du sofort aufstehen und etwas unternehmen mußt.«
Sie machte eine dramatische Pause. Ich wartete. Die dramatische Pause zog sich hin.
»Nun mach schon!« drängte ich ungeduldig.
Und Anja sagte: »Stasi!«
7
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Zu den erstaunlichsten Erfahrungen des Lebens gehört, daß alles immer sehr viel schlimmer kommt, als man überhaupt befürchten kann. Meine arme alte kranke Mutter hatte schon vor Jahren prophezeit, daß es mit mir kein gutes Ende nehmen würde, aber so, wie es jetzt aussah, konnte ich froh sein, wenn es mit mir ein schlechtes Ende nahm.
Der Express- Bericht tendierte eindeutig in Richtung Katastrophe.
Daß der Tote im Dom Otto Pastich hieß, ließ den ominösen Zettel aus dem Handgepäck des Killers in einem völlig neuen Licht erscheinen und für die fünf anderen Namen auf der Liste nichts Gutes ahnen. Und daß Pastich Geschäftsführer der Onex GmbH gewesen war, einer Firma aus dem Dunstkreis des zwielichtigen DDR-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski und seiner Stasi-Abteilung Kommerzielle Koordinierung, machte die Sache auch nicht besser.
Die Onex hatte in der Vor-Wende-Zeit die DDR illegal mit modernsten Computern und optoelektronischen Geräten versorgt, deren Export in den Ostblock nach den COCOM-Bestimmungen verboten war. Gegen Pastich lief deshalb seit einiger Zeit ein Ermittlungsverfahren, dem er sich eilig durch Untertauchen entzogen hatte, bis er als Leiche im Dom zu Köln wieder aufgetaucht war.
Aber bedeutete das zwangsläufig, daß ehemalige Stasi-Leute hinter dem Mord steckten, wie Anja glaubte? Sicher, alles deutete darauf hin, daß der Killer ein Ossi war, aber das sagte nichts über seine Auftraggeber. Warum sollten die alten Kameraden von der Staatssicherheit jemand umbringen, der ihnen früher geholfen hatte? Es war doch denkbar, daß der Auftrag aus einer ganz anderen Ecke gekommen war – Pastich hatte bei seinen illegalen KoKo- Geschäften mit Westfirmen zusammenarbeiten müssen. Vielleicht waren einige seiner ehemaligen Partner noch nicht enttarnt und hatten Pastichs Wissen gefürchtet und ihn deshalb ermorden lassen.
Oder die ominöse Liste war gar keine Todesliste und der Mord an Pastich nur eine Art Betriebsunfall. Vielleicht ging es in Wirklichkeit um Erpressung; vielleicht waren alle sechs Männer auf der Liste in die KoKo- Geschäfte verstrickt und wurden jetzt von ihren früheren Stasi-Kumpeln erpreßt. Pastich hatte nicht zahlen wollen, und Mielkes flotte Jungs hatten ihn zur Abschreckung sofort erstochen.
Oder die Liste war nichts weiter als das Mitgliederverzeichnis eines ost-westlichen Sparvereins und Mr. Häßlich der fröhliche Geldbriefträger, mit fünfzehn Riesen, vier Handgranaten und einer Makarow-Pistole unterwegs, um den braven Sparern die Zinsen auszuzahlen. Pastich war mit der Ausschüttung nicht zufrieden gewesen und hatte sich aus Gram ins eigene Messer gestürzt.
Nicht, daß ich daran glaubte.
Aber nach dem Horror des letzten Tages sehnte ich mich nach einer harmlosen Erklärung, und mit dieser Sehnsucht stand ich nicht allein. Der Polizei erging es nicht anders, wie eine Type Mensch namens Oberkommissar Grosch in seinem Express- Interview verriet.
Grosch tat die Stasi-Connection als Hirngespinst ab und sprach von einem »brutalen Raubmord« des »einschlägig vorbestraften
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