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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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Häßlich war das klassische Schreckgespenst: fliehende Stirn, platte Nase, schiefer Mund, wäßrige Augen, knorpelige Ohren. Aber derartige Gesichter wurden an jedem langen Samstag auf der Hohen Straße zu Hunderten spazierengetragen; die Häufung banaler Mißbildungen konnte nicht erklären, warum ich bei seinem Anblick das Gefühl bekam, als hätte ich in einen verstopften Ausguß gegriffen.
    Es mußte an seinem Charakter liegen. Offenbar hatte seine Häßlichkeit die engen Grenzen des Körperlichen längst transzendiert; was ich sah, war kein Gesicht, sondern eine Lebenseinstellung.
    Der auskunftsfreudige Eduard Reutling schien es auch zu spüren.
    »Tscha«, brummte er unbehaglich, »ich laß Sie besser mal mit Ihrem Onkel allein. Sie haben sich bestimmt viel zu erzählen.«
    Er verschwand eilends in der Lobby und überließ uns unserem Schicksal. Trotz der kalten Winterluft begann ich zu schwitzen.
    »Und was machen wir jetzt?« zischte Anja und wühlte in ihrer Pink-Panther- Tasche nach dem anti-imperialistischen Schlachtermesser. »Sollen wir kämpfen oder sollen wir auch abhauen?«
    Dafür war es eindeutig zu spät; der Weg zum Trabbi wurde uns von Mr. Häßlich versperrt. Der zombiehaft zähe Komplize sprang aus dem Transporter, grinste böse aus seiner zugepflasterten Visage und griff unter seine gefütterte Lederjacke. Eine Pistole blitzte in seiner Hand. Zum Glück verließ in diesem Moment ein gutes Dutzend Kurgäste in Jogginganzügen das Hotel und trabte im gemächlichen Trott über den Parkplatz zum nahen Wald, um dort das Fitneß-Programm zu absolvieren, und er steckte die Waffe hastig wieder zurück.
    »Schnell«, sagte ich zu Anja. »Zum Auto! Die werden es nicht wagen, uns vor Zeugen abzuknallen.«
    Ich marschierte los und betete, daß ich die Lage richtig eingeschätzt hatte. Anja blieb dicht an meiner Seite, finstere Entschlossenheit im Blick, die Hand in der Pink-Panther- Tasche und am Schlachtermessergriff. Mr. Häßlich sah uns ausdruckslos entgegen, doch im zugepflasterten Gesicht seines Komplizen leuchtete blanker Haß.
    »Das sind die beiden, Major!« rief er gepreßt. »Die kleine Dicke und der Typ aus der Zeitung, die Irren mit dem Trabant. Diese Scheißtypen hätten mich gestern fast umgebracht!«
    Major? Wohl kaum einer von der NVA oder der Bundeswehr. Anja hatte sich nicht geirrt – wir hatten es mit ehemaligen Stasi-Leuten zu tun.
    Zwei Meter vor dem Major alias Mr. Häßlich blieb ich stehen. Die Kurjogger hatten inzwischen an Tempo gewonnen, die ersten verschwanden bereits im verschneiten Wald, doch von der Straße her näherte sich ein Wäschereiwagen und hielt vor dem Seiteneingang des Hotels. Zwei junge Männer stiegen aus und machten sich ohne jede Eile daran, die Wäschepakete zu entladen.
    Das gefiel mir. Je mehr Betrieb, desto besser für uns.
    »Sie sehen ja noch mieser aus als gestern im Dom«, sagte ich locker zum Major, um das Eis zu brechen. »Kriegen Sie eigentlich keinen Schreck, wenn Sie morgens in den Spiegel schauen?«
    Seine wäßrigen Augen trübten sich und bekamen eine sumpfige Patina.
    »Hendriks«, sagte er gedehnt und bewies damit immerhin, daß er Zeitung lesen konnte. »Ja, Sie sind es – die kleine Ratte aus dem Dom, die mich angerempelt und mir den Schließfachschlüssel geklaut hat. Aber warum haben Sie sich die Haare gefärbt? Um die Polizei zu täuschen?«
    Er lachte.
    »Das reicht nicht, wenn man als Mörder gesucht wird, Hendriks. Da müssen Sie sich schon was Besseres einfallen lassen.«
    »Stasi-Schwein!« zischte Anja.
    »Halt’s Maul, Schlampe!« knurrte er, ohne den Blick von mir zu wenden. »In Ordnung, Hendriks. Genug geplaudert. Sie haben etwas, das mir gehört. Die Tasche. Wo ist sie?«
    »Machen wir doch ein Geschäft«, schlug ich vor. »Sie erzählen mir, warum Sie Pastich umgebracht haben, und ich verspreche Ihnen, daß ich bei der Polizei ein gutes Wort für Sie einlege.«
    »Werd’ ja nicht frech!« giftete der bandagierte Komplize und kam drohend auf mich zu. »Ich stopf dir dein verfluchtes Maul, du…«
    Der Major hielt ihn zurück.
    »Keine unnötige Gewalt, Paul«, sagte er allen Ernstes. »Wir werden uns schon einigen. Also, Hendriks, wo ist die Tasche?«
    Ich dachte an die Makarow-Pistole und die vier Handgranaten und sah sehnsüchtig am Major vorbei zum Trabbi. Tragischerweise hatte ich sie in der Tasche gelassen, und die Tasche lag im Auto. Offenbar hatte ich etwas zu sehnsüchtig an dem Major vorbeigeschaut; während

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