Tod im Dom
Wasserrohr.
Das war’s also, dachte ich bitter.
Scheller tauchte im Türrahmen auf und scheuchte Paul und den Major aus der Todesküche. »Schafft Machetzkys Leiche in den Wagen«, befahl er. »Ich komme gleich nach.«
Er trat an den Gasherd.
»He, Oberst«, keuchte ich, »meinen Sie wirklich, daß die Polizei an Selbstmord glauben wird, wenn sie uns mit Handschellen an das Wasserrohr gekettet vorfindet?«
Er lächelte so freundlich, wie es seinem sympathischen Charakter entsprach.
»Sobald wir das Gold an einen sicheren Ort gebracht haben, kommen wir wieder und ketten Sie los«, offenbarte er mir. »Ich schätze, morgen abend sind wir wieder zurück. Wenn Sie bis dahin überleben, werde ich Sie aus Respekt vor Ihrem Selbsterhaltungstrieb laufenlassen.«
»Sie sind ein echter Menschenfreund, was?«
»Er ist ein Schwein«, wimmerte Anja. »Ein richtiges Stasi-Schwein!«
»Gute Reise«, sagte Scheller und drehte das Gas auf.
Dann schloß er von draußen die Tür. Ein paar Augenblicke später fiel die Haustür zu, ein Motor heulte auf, Reifen knirschten über den Kies, dann wurde es still.
In der Stille war das Zischen des ausströmenden Gases schrecklich laut.
»Oh, Harry«, schluchzte Anja, »jetzt wirst du nie erfahren, was für wundervolle Dessous ich mir gekauft habe! Wir müssen sterben, aber immerhin sterben wir zusammen.«
»Das ist mir ein großer Trost«, gestand ich und öffnete die rechte Hand, in der ich die ganze Zeit den Schlüssel aus der Tasche des Majors verborgen hatte. »Aber wenn dieser Schlüssel zufällig zu diesen Handschellen paßt, wird’s mit dem gemeinsamen Sterben nichts werden.«
Anja riß die Augen auf, und ich probierte den Schlüssel aus.
Er paßte.
Der Rest war ein Kinderspiel.
12
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Ich bin kein nachtragender Mensch, und jeder, der mir schon einmal auf die Nerven gegangen ist, wird das jederzeit bestätigen können. Verzeihen macht frei und erlöst von bösen Gedanken, während Rachegefühle nur die gute Laune verderben. Andererseits hatte noch niemand versucht, mich mittels Gas aus dem Leben zu befördern, und so war es kein Wunder, daß ich mich ernsthaft mit dem Gedanken trug, Oberst Scheller zu erwürgen, sobald er mir in die Hände fiel.
»Jetzt weißt du wenigstens, was das für Verbrecher sind«, meinte Anja. »Kannst du dir vorstellen, was wir all die Jahre durchgemacht haben? Dabei waren die von der Stasi nicht einmal die Schlimmsten. Viel ekliger waren die Spitzel. Ich hab’ kürzlich meine Akte eingesehen – die meisten meiner Freunde haben für das MfS gearbeitet. So was zerstört jedes Vertrauen in die Menschheit.«
Mein Vertrauen in die Menschheit war noch nie besonders ausgeprägt gewesen, und die Ereignisse der letzten Tage bestätigten mich nur in meiner Skepsis. Die Leute, die ich kennengelernt hatte, waren entweder tot oder hatten das Töten zu ihrem Handwerk gemacht, und nach allem, was der Stasi-Obervergaser Scheller so abgesondert hatte, war das erst der Anfang.
Ich wagte mir gar nicht auszumalen, was diesem Land blühte, wenn ein paar hundert schwerbewaffnete, skrupellose und halbverrückte Geheimdienstprofis in den Untergrund gingen, um die Ossis in den Sozialismus zurückzubomben. Der Terror der RAF würde dagegen wie die Sandkastenspiele harmloser Milchbubis aussehen.
»Wir müssen es verhindern, Harry!« rief Anja mit hörbarem Horror in der Stimme. »Wir sind die einzigen, die sie aufhalten können!«
Das sah ich auch so, obwohl mir auf Anhieb ein paar Leute einfielen, die wesentlich mehr Erfahrung im Anti-Terror-Kampf hatten als wir – die knochenharten Burschen vom BKA etwa oder die Killer von der GSG 9. Aber wenn wir die Behörden alarmierten, dann war es aus mit meinem Traum vom süßen Leben auf Ibiza, das ich mir mit dem Gold der Stasi zu finanzieren gedachte.
Terror war eine gräßliche Sache, doch noch gräßlicher war die Aussicht, auch in Zukunft arm zu sein.
Also versuchten wir es zunächst auf eigene Faust, so gering unsere Chancen auch sein mochten.
Dieser linke Oberst Scheller hatte mir nicht nur die Makarow, sondern auch die drei Handgranaten und Machetzkys Mauser abgenommen. Unsere einzigen Waffen waren mein Verstand und Anjas rosaroter Trabbi, und ich konnte in unser aller Interesse nur hoffen, daß weder das eine noch das andere versagte.
Immerhin hatten wir den Vorteil, daß niemand mit uns rechnete. Für Scheller, Paul und den Major waren wir tot. Das Überraschungsmoment war auf unserer
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