Tod im Dom
herumschnüffeln wollten.«
»Es war reine Notwehr. Hätte ich für Ihren häßlichen Major in den Knast wandern sollen?«
»Vorsicht, Hendriks«, knurrte der Major und trat drohend auf mich zu. »Keine Frechheiten, oder…«
»Schluß damit«, ging Scheller dazwischen. »Lassen Sie ihn, Major. – Jedenfalls, als Sie die Tasche mit dem delikaten Inhalt abholten und trotz des Einschreitens von Leutnant Tiessen« – er nickte dem zähen Paul zu – »entkommen konnten, da hatten wir ein Problem. Wir mußten damit rechnen, daß Sie die Polizei informieren würden. Schönbrunn und Machetzky mußten also so schnell wie möglich ausgeschaltet werden. Aber als ich im Schwarzwald eintraf, war Schönbrunn bereits tot, und statt der Polizei kamen Sie und warfen mit Handgranaten um sich.
Ihnen gelang die Flucht, aber das spielte keine Rolle. Sie hatten keine andere Wahl, als sich an Machetzky zu wenden. Machetzky wußte nicht, daß wir Bollmanns Schlupfwinkel längst ausfindig gemacht und die anderen Verräter liquidiert hatten. Also konnten wir uns in Ruhe hinsetzen und auf Sie warten. Und jetzt, Hendriks, sind Sie hier.«
»Tscha«, meinte ich, »wenn Sie nichts dagegen haben, würden wir jetzt gerne gehen…«
»Ich fürchte, das ist nicht möglich.«
»O nein!« rief ich.
»Sie und Ihre kleine Freundin werden dieses Haus nicht mehr verlassen. Es tut mir leid.«
»Sie wollen uns erschießen, diese Schweine!« schluchzte Anja. »Harry, so tu doch was!«
Aber die Makarow in Pauls Hand war eindeutig dagegen, also tat ich nichts.
»Wissen Sie, Hendriks«, fuhr Scheller im Plauderton fort, »dies ist ein schönes Haus, sehr modern, mit allem Komfort ausgestattet. Als das MfS damals dieses Objekt erwarb, wurde es sogar mit einem Gasanschluß versehen, trotz der ländlichen Lage und der exorbitanten Kosten, die durch die kilometerlange Gasleitung entstanden. Das MfS hat nie gespart, wenn es um das Wohl seiner Mitarbeiter ging.«
»Klingt wahnsinnig sozial«, murmelte ich. »Aber warum erzählen Sie mir das?«
»Vielleicht wissen Sie es nicht, aber das in der DDR verwendete Gas wird synthetisch aus Braunkohle hergestellt. Es ist hochgiftig. Jährlich sterben fast tausend Menschen an Gas, das aus verrotteten Leitungen und undichten Herden ausströmt.«
Er lächelte charmant.
»Hier gibt es zwar keine verrotteten Leitungen, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß Sie dieses traurige Schicksal teilen werden. Die Polizei wird glauben, daß der gesuchte Mörder Harry Hendriks und seine Komplizin auf ihrer Flucht in dieses leerstehende Haus eingebrochen sind und sich durch unsachgemäße Bedienung des Gasherds selbst…«
Das war zuviel für Anja.
Sie stürzte sich wie eine Furie auf Scheller, der unter der Wucht ihres überraschenden Angriffs mitsamt dem Sessel umkippte und verzweifelt versuchte, sein Gesicht vor ihren spitzen Fingernägeln zu schützen. Paul warf sich auf Anja, und ich warf mich auf Paul und riß ihn zu Boden. Ich wollte eben zum vernichtenden Schlag ausholen, als mich der Major an der Schulter packte und hochriß. Ich trat ihm gegen das Schienbein und erhielt dafür einen Fausthieb in den Magen. Keuchend und spuckend klappte ich zusammen, hielt mich an seinem Mantel fest und griff ihm – mehr einem Reflex als klarer Überlegung folgend – in die Manteltasche.
Doch meine vage Hoffnung, dort eine Waffe vorzufinden, wurde grausam enttäuscht – wie bei unserer ersten Begegnung im Dom bekam ich nur einen kleinen Schlüssel zu fassen.
Im nächsten Moment drosch mir Paul die Makarow auf den Kopf, und ich sackte benommen zusammen. Ich hörte Anja kreischen und spürte, wie mich die groben Hände des Majors aus dem Zimmer und in die angrenzende Küche schleiften. Anjas Kreischen folgte mir, bis es abrupt abbrach. Als ich wieder halbwegs zu mir kam, lag ich neben der Nirostaspüle auf dem Boden und sah über mir ein Wasserrohr, das im Spülkasten verschwand. Paul schleppte Anja herein und ließ sie neben mir auf den Boden fallen.
Sie wimmerte.
Betäubt fragte ich mich, wie Scheller verhindern wollte, daß wir uns dem Gastod durch eilige Flucht entzogen. Wollten sie etwa vor der Küchentür warten, bis wir vergiftet waren? Zur Not konnten wir immer noch das Fenster aufreißen und Frischluft hereinlassen.
Der Major beendete meine Spekulationen.
Mit einem besonders häßlichen Grinsen zauberte er aus seiner Manteltasche ein Paar Handschellen hervor und kettete uns an dieses verfluchte
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