Tod im Dünengras
wollen die hier?«, stöhnte Erik.
Die Miene, mit der er Giovanna und seine Schwiegermutter begrüÃte,
war nicht gerade freundlich. Das änderte sich allerdings, als Mamma Carlotta
ihm ihre Tasche hinhielt und ihm den Inhalt zeigte. »Diese Schuhe haben wir
gefunden. Wir dachten, wir sollten sie dir sofort bringen.«
Turnschuhe in GröÃe siebenundvierzig! »Woher habt ihr die?«
Mamma Carlotta schien es wichtig zu sein, selbst den Bericht zu
übernehmen. Sie brachte Giovanna, die ebenfalls zum Reden ansetzte, mit einer
Geste zum Schweigen. »Also, das war so â¦Â«
Sie lieà sich auf einem Stuhl in Eriks Büro nieder und sah sich um. »Habt ihr
keinen Kaffee?«
Sören erhob sich, riss die Tür auf und schrie nach Kaffee. Ein paar
Augenblicke später erschien Rudi Engdahl mit einer Thermoskanne und zwei
Kaffeebechern, die vom vielen Benutzen und flüchtigen Ausspülen dunkel beschlagen
waren.
Eriks Fingerspitzen trommelten unruhig auf der Schreibtischplatte
herum, bis er endlich erfuhr, was seine Schwiegermutter zu berichten hatte:
»Giovanna wollte zu dem Ort, wo ihr Neffe den Tod gefunden hat«, begann sie
theatralisch. Den flinken Blick, den sie Giovanna zuwarf, bemerkte Erik nicht.
»Wir sind also zur Buhne 16 gefahren und haben dort ein paar Gedenkminuten für
Francesco eingelegt.«
Erik glaubte ihr jedes Wort. Das war genau die Art, wie
Italienerinnen mit einem Trauerfall umgingen. Er selbst hätte sich niemals
freiwillig an der Stelle aufgehalten, an der Lucia tödlich verunglückt war.
Schlimm genug, dass er jedes Mal dort vorbeikam, wenn er nach Niebüll fuhr.
Aber anhalten und eine Gedenkminute einlegen? Niemals!
»Allora, und als wir zurückkamen«, erzählte Mamma Carlotta weiter,
»fielen uns diese Schuhe auf. Sie steckten in einem Papierkorb auf dem
Parkplatz. Und ich habe gleich daran gedacht, dass es neben Francescos Leiche
Abdrücke von sehr groÃen Turnschuhen gab. Könnte doch sein, dass es diese
waren.«
Erik betrachtete die Sohle. Ja, seine Schwiegermutter könnte recht
haben. Das Sohlenrelief zeigte ein feines Muster, das aus einem engen Gitter
bestand, und in der Mitte der Sohle, wo sie schmaler wurde, gab es einen Kreis
mit zwei AuÃenlinien. Ja, die Abdrücke neben Francescos Leiche konnten von
diesen Schuhen stammen.
Wortlos griff Erik zum Telefonhörer, obwohl er wusste, dass Mamma
Carlotta auf überschwängliches Lob wartete. »Vetterich? Kommen Sie doch mal
her. Hier gibt es ein Fundstück, das kriminaltechnisch untersucht werden muss.«
Mamma Carlotta konnte sich nicht konzentrieren. Giovanna
und Carolin waren in ihrem Element, aber sie selbst hatte schon dreimal ihren
Einsatz verpasst und die zweite Strophe mit der dritten verwechselt.
»Wenn das so weitergeht«, hatte Carolin ihre GroÃmutter getadelt,
»werden wir deinetwegen beim Chorwettbewerb einen schlechten Platz belegen.«
Mamma Carlotta hatte die Rüge an sich abtropfen lassen. Wem so
schwere Gedanken im Kopf herumgingen, der konnte nicht darüber jubilieren, dass
es tagte und der Sonne Morgenstrahl alle Kreatur weckte. Carolins Gesicht
hingegen leuchtete. Sie nahm sämtliche Anregungen auf, die Giovanna ihr gab,
ahmte sie nach, wo es möglich war, und trug sogar die auffällige Kette, die
Giovanna ihr geschenkt hatte, obwohl sie so gar nicht zu ihr passte. Carlotta
begriff schnell: Carolin hatte ein neues Vorbild gefunden.
»Der Vögel froher Frühchoral begrüÃt des Lichtes Spur â¦Â«
Felix riss die Tür auf, ein Schwall Heavy-Metal-Musik drang mit ihm
in die Küche.
»Es singt und jubelt überall, erwacht sind Wald und Flur â¦Â«
»Haben wir Cola?«
»Wem nicht geschenkt ein Stimmelein â¦Â«
Felix bewegte die flache Hand vor seinem Gesicht hin und her.
»Stimmelein! Ihr habt sie ja nicht mehr alle!«
»â¦Â zu singen froh und frei â¦Â«
Carolin und Giovanna lieÃen sich nicht stören, weder von Felixâ
Erscheinen noch von der lauten Musik, ja nicht einmal von seinem Rülpsen,
nachdem er die Colaflasche abgesetzt hatte, die er nach lautstarkem Klappern im
Kühlschrank gefunden hatte. Sie sangen weiter, als gäbe es in dieser Welt keine
störenden kleinen Brüder. Mamma Carlotta kam nicht umhin, sie für ihre
Beharrlichkeit zu bewundern. Sie selbst hätte Felix gern zurechtgewiesen und
Giovanna
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