Tod im Dünengras
Giovanna benötigte die gesamte Dauer der Fahrt, um den
wundersamen Umstand zu bewältigen, dass sie Susala bereits getroffen hatte,
obwohl sie erst am Abend damit gerechnet hatte. In leuchtenden Farben malte sie
sich die Zukunft aus, die mit Francesco gestorben war. Wie sie in Chiusi die
Verlobung gefeiert hätten! Dass die Hochzeit das gröÃte und wichtigste Ereignis
im Umkreis gewesen wäre! Und dass Susala selbstverständlich trotzdem ab jetzt
zur Familie gehörte, da sie ja eigentlich so etwas wie Francescos Witwe sei.
Von der halsbrecherischen Fahrweise des Taxichauffeurs bekam sie nichts mit.
Möglicherweise fühlte sie sich einfach nur wie zu Hause, denn wenn dieser
Taxifahrer auch eine echter Friese war, sein Fahrstil war eindeutig
italienisch.
»Aber Enrico sagt, Susala habe Francesco nicht heiraten wollen«,
erinnerte Mamma Carlotta, der es schwerfiel, Giovannas Euphorie zu dämpfen, die
es aber absolut notwendig fand, dass Giovanna der Wahrheit ins Gesicht sah.
Francesco war noch immer das schwarze Schaf der Familie. Die Tatsache, dass er
Heiratsabsichten gehegt hatte, änderte daran nichts!
Doch Giovanna verteidigte ihre Sicht auf die Dinge, bis sie den
Bahnhof passierten. »Susala wird ihre Gründe haben. Vielleicht bestreitet sie,
dass sie Francesco heiraten wollte, weil sie nicht mit dem Mord in Zusammenhang
gebracht werden will. Und mit dem, was Francesco angeblich getan hat. Wenn sich
das alles geklärt hat und der Mörder gefasst worden ist, dann wird sie uns die
Wahrheit sagen.«
Mamma Carlotta war froh, dass Giovanna italienisch gesprochen hatte
und dem Taxifahrer so verborgen geblieben war, dass es im Fond seines Wagens um
Mord und Totschlag und sogar um Schutzgelderpressung ging. So setzte er sie vor
dem Polizeirevier Westerland ab in der Annahme, sie wollten dort einen
Diebstahl melden oder einen Vermieter, der ihnen eine unzumutbare Ferienwohnung
angeboten hatte.
Mamma Carlotta stieg aus und wartete, bis Giovanna den Fahrer
bezahlt hatte. Dann fragte sie: »Was machte Susala eigentlich vor der
Perlenmuschel?«
Giovanna zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hatte sie in der
Muschel I etwas zu erledigen. Oder
sie wollte in der Perlenmuschel einkaufen.«
Mamma Carlotta schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht! Vera
Ingwersen und Susala sind sich nämlich nicht grün. Und soll ich dir sagen,
warum?« Carlotta liebte es, vor einer sensationellen Mitteilung eine kleine
Pause zu machen, um die Spannung zu steigern. Dann platzte sie heraus: »Weil
Susala ein Verhältnis mit Arne Ingwersen hat!«
Und mit einem Mal, während Giovanna sie noch ungläubig anstarrte,
war ihr klar, was in dem Brief gestanden hatte, den Vera Ingwersen bekommen
hatte. Mit ihm war ihr der Beweis geliefert worden, dass ihr Mann sie mit
seiner schönen Kellnerin betrog. Ja, so musste es sein! Wahrscheinlich hatte
Vera bis zu diesem Augenblick noch darauf gehofft, dass sie im Irrtum war. Nun
aber hatte ihr jemand mitgeteilt, dass alle Hoffnung vergeblich war, dass sie
sich überlegen musste, wie mit dem Beweis umzugehen war. Ob sie ihrem Mann
verzeihen wollte oder ob sie auf Sylt alle Zelte abbrechen und nach München
zurückkehren sollte.
Sören sah unzufrieden aus, als er Eriks Büro betrat. »Im
Gogärtchen wollte sich niemand festlegen«, brummte er ärgerlich. »Kann sein,
dass Alviso und Follini dort waren, während Francesco ermordet wurde, kann aber
auch nicht sein. Möglich, dass sie die ganze Nacht da waren, kann aber auch
sein, dass sie schon früh gegangen sind. Niemand weià es genau.«
Erik winkte ab. »Ãrgern Sie sich nicht. Ich glaube, das Alibi der
beiden ist gar nicht so wichtig. Die stecken hinter dem Tod von Jesse und Utta
Ingwersen, aber der Mord an Francesco hat einen anderen Hintergrund.« Er
lächelte Sören an, als wollte er dessen schlechte Laune weglächeln. »Ich habe
gerade mit Vera Ingwersen telefoniert.«
»Und?« Sören schien nicht besonders interessiert zu sein.
»Sie hat das Alibi ihres Mannes nicht bestätigt. Die beiden haben in
jener Nacht getrennt geschlafen, weil sie sich vorher gestritten hatten.«
Nun war Sören tatsächlich beeindruckt. »Arne Ingwersen? Vorstellen
kann ich es mir nicht. Sein Vater spielt den Helden und zeigt den Erpresser an,
und er ⦠er schlägt ihm den Schädel ein?« Sören schüttelte den
Weitere Kostenlose Bücher