Tod im Dünengras
mitschuldig fühlt.«
Wieder entstand Stille. DrauÃen hupte ein empörter Autofahrer, weil
ein anderer ihm einen Parkplatz vor der Nase weggeschnappt hatte, und die Verkäuferin
erklärte einem Kunden mit einer Lebensmittelallergie die Zutaten des
Bienenstichs.
»Wie wärâs«, meinte Sören, »wenn wir heute Nachmittag zu Frau Jesse
fahren würden? Sie sollte endlich wissen, dass der Tod ihres Mannes aufgeklärt
ist.«
Erik nickte. »Und wenn mir bis morgen nicht eingefallen ist, wie ich
diesen Fall löse, dann gehe ich zur Staatsanwältin und bitte sie um den Einsatz
einer Sonderkommission.«
Sören sah ihn unglücklich an. »Wenn Sie das tun, werden Sie bei ihr
unten durch sein.«
Erik zuckte die Achseln. »Immer noch besser, als mit dem Gedanken zu
leben, dass ein Mörder frei herumläuft, dem ich nicht auf die Schliche gekommen
bin.«
Der Wind war am frühen Nachmittag eingeschlafen, seitdem
war die Luft milde und trug den Geruch des Spätsommers über die Insel.
Eigentlich war er schon verloren gegeben worden unter den eiskalten Böen, die
mit spitzen Fingern nach allem griffen, was vom Sommer übrig geblieben war. Nun
aber war zu spüren, dass der Herbst noch nicht die Herrschaft übernommen hatte,
dass er noch darum kämpfte, sie dem Sommer abzunehmen. Hoch aufgerichtet
konnten sie nach Keitum fahren, mussten sich nicht klein machen, sich nicht
gegen den Wind stemmen.
Arne Ingwersen wirkte nervös, als er Mamma Carlotta und ihre Enkelin
begrüÃte. Zum Glück hatte er nichts gegen die Anwesenheit Mamma Carlottas
einzuwenden. Es schien ihm sogar zu gefallen, dass Carolins Eifer so weit ging,
dass sie sich die Unterstützung ihrer GroÃmutter gesichert hatte.
Er führte sie ins Büro, öffnete einen Schrank und zog eine Schublade
hervor. »Hier bewahrt Vera alles auf, was den Inselchor betrifft«, sagte er zu
Carolin. »Ich hoffe, du kommst klar. Leider muss ich weg, und Vera liegt im
Bett und kann nicht aufstehen. Ihr Kreislauf ist am Boden. Ihr wird schwindelig,
wenn sie sich erhebt. Sie muss strikte Bettruhe einhalten.«
»Ist es so schlimm mit ihr?«, fragte Mamma Carlotta mitfühlend und
dachte an den Brief, den Vera erhalten hatte.
Arne nickte. »Aber sie hat Medikamente verschrieben bekommen und
meint, dass sie morgen wieder auf den Beinen ist.«Er ging zur Tür und wies noch
einmal auf die herausgezogene Lade. »Vera hält groÃe Stücke auf dich, Carolin.
Sie meint, du wirst das schon machen. Die Noten für den Wettbewerb liegen in
der blauen Mappe.«
Carolin machte sich darüber her und stellte alles zusammen, was sie
für die Chorprobe brauchte. Es war ihr anzusehen, dass das Lob ihrem Tatendrang
einen kräftigen Schub versetzt hatte.
Währenddessen sah Mamma Carlotta sich um. Sie ging zum Fenster,
betrachtete den gepflegten Garten und dachte daran, wie sie dort Zeuge eines
Streits zwischen Arne und Vera Ingwersen geworden und am Ende auf Willem Jäger
gestoÃen war. Warum er sich wohl wirklich im Garten aufgehalten hatte?
Vielleicht hatte er die Ingwersens belauscht und es nicht zugeben wollen?
Sie wanderte gedankenvoll an den Regalen entlang, in denen die Akten
in Reih und Glied standen. Vera hatte sie so weit wie möglich nach hinten
geschoben, damit vor ihnen Platz für gerahmte Fotos war. In der Mitte stand das
gröÃte, eindrucksvollste, das Hochzeitsfoto: Vera in einem karamellfarbenen
Brautkleid mit einem Mieder, das an ihre zahllosen Dirndl erinnerte. Wie ein
Sahnebonbon sah sie aus, rund, appetitlich, lecker. Daneben ihr attraktiver
Mann, groà und schlank, ernst, von einer Schönheit, neben der eine Frau schon
froh sein konnte, wenn sie zum AnbeiÃen aussah, so wie Vera. Zum ersten Mal,
seit Mamma Carlotta die beiden kannte, fiel ihr auf, dass sie ein ungleiches
Paar waren. Tatsächlich passte die bildhübsche Susala besser zu Arne Ingwersen
als seine bodenständige Ehefrau. Ob Arne sich für Vera nur deshalb entschieden
hatte, weil sie gut fürs Geschäft war? Und weil sein Vater, dessen Rat ihm über
alles ging, ihn zu dieser Verbindung ermutigt hatte?
Hinter dem Hochzeitsfoto standen mehrere Ordner mit der Aufschrift
«Bewerbungen«. Zwischen HâK
und NâP gab es eine Lücke.
Der Ordner mit den Bewerbungen LâM
war entnommen worden. Also der, in dem auch die Bewerbung von Susanna
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