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Tod im Dünengras

Tod im Dünengras

Titel: Tod im Dünengras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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die
vergeblich versucht hatten, das Leben festzuhalten! Carlotta fuhr, so schnell
sie konnte, doch das Bild war nicht abzuschütteln. Ebenso wenig wie die
schrecklichen Worte. Schutzgeld! Erpressung! Mafia! Erik hatte sie also
belogen. Die Mafia auf Sylt, das war keine falsche Information gewesen. Das war
Wirklichkeit!
    Mamma Carlotta stieß ein bitteres Lachen aus, das ein junger Vater,
dem der Ball seines Sohnes unter dem Arm wegrutschte, falsch interpretierte. Er
beschimpfte Mamma Carlotta, während er den Ball verfolgte, wegen ihrer
Schadenfreude und schrie ihr sogar hinterher, sie und ihre leichtsinnige
Fahrweise seien schuld, und sie solle gefälligst dabei helfen, den Ball unter
dem parkenden Lkw hervorzuholen …
    Aber sie nahm den protestierenden Feriengast gar nicht wahr und ließ
ihn schreien, ohne auf die Idee zu kommen, seine Anschuldigungen könnten etwas
mit ihr zu tun haben. So schwungvoll bog sie in die Boysenstraße ein, dass es
ihr beinahe ähnlich ergangen wäre wie dem bunten Gummiball des verärgerten
Sylt-Touristen. Doch sie hielt sich auf dem Sattel, obwohl ihr ein Lkw
entgegenkam, dessen Fahrer augenscheinlich nicht mit einer rasenden
italienischen Mamma gerechnet hatte. Aber auch von seinem Ausweichmanöver bekam
Carlotta nicht viel mit. Ihre Gedanken wanderten zu Tove und seiner Sorge um
Fietje. Nach wie vor glaubte sie Tove kein Wort. Wenn Fietje auch sein einziger
Stammgast war – darüber hinaus verband die beiden nichts als die Tatsache, dass
einer wie der andere keine Freunde auf dieser Insel hatte. Und wenn Tove in
diesem Fall ein gutes Wort für Fietje einlegte, dann musste die Sache einen
Haken haben. Vielleicht war ihm aus ganz egoistischen Motiven daran gelegen,
dass sich nicht herumsprach, was Fietje in der Nacht beobachtet hatte?
Womöglich hatte Tove Angst vor Rache und wollte deshalb nicht, dass die beiden
Männer, die Jesse zusammengeschlagen hatten, der Polizei ausgeliefert wurden?
Ausgerechnet Tove, der stark wie ein Bär war und sich sonst vor nichts
fürchtete! Angeblich war er jahrelang als Kapitän zur See gefahren und hatte
sich sogar einmal nach einem Schiffbruch vor Gibraltar als Einziger schwimmend
an Land gerettet. Wenn ein solcher Mann Angst hatte, musste er einen guten
Grund haben.
    Mamma Carlotta brauchte nur an ihren Onkel Renzo zu denken, der
ebenfalls stark wie ein Bär gewesen war. Als er nach Kalabrien ging, um in
Tropea ein Eiscafé zu eröffnen, wurde er prompt von der Mafia erpresst. Seinen
ersten Besuch in der Heimat machte er mit einem frisch gebrochenen Nasenbein,
später bewirtete er die Geldeintreiber der Mafia mit Zitronensorbet und
Früchtebechern und legte ihnen das Schutzgeld unter den Teller. Dass er von da
an täglich seine Frau verprügelte, um sich für seine verlorene Mannesehre
schadlos zu halten, war eine andere Sache.
    Mamma Carlotta schlidderte in die Friedrichstraße, auf der das
Fahrradfahren verboten war, dachte aber nicht daran abzusteigen. »Die paar
Meter!«, murmelte sie, als ein empörter Kunde von Fisch-Blum hinter ihr her
schimpfte. Sie tat so, als fühlte sie sich nicht angesprochen, und fuhr auf die
Strandstraße zu, obwohl sie wusste, dass Radfahrer auch dort nicht gern gesehen
waren. Dann jedoch hatte sie die Steinmannstraße erreicht, und dort war das
Fahrradfahren erlaubt. Das schnelle Fahren tat ihr gut, der Wind zwang sie,
sich richtig ins Zeug zu legen. Und da körperliche Anstrengung ihr schon immer
bei der Bewältigung von Schwierigkeiten geholfen hatte, ging es ihr allmählich
besser.
    Zu Hause wusch sie sämtliche Gardinen auf einmal, wenn sie emotional
aufgewühlt war, oder räumte den Abstellraum derart gründlich auf, dass sie sich
damit prompt das nächste Problem auf den Hals lud: die Verlustmeldungen
aufgebrachter Familienangehöriger, die vergeblich Werkzeug, Spielsachen oder
alte Fotoalben suchten. Zum Glück war die körperliche Verausgabung beim
Fahrradfahren nicht halb so folgenschwer.
    Am Brandenburger Platz beschloss sie, ihren Weg am Strand
fortzusetzen. Der Blick aufs Meer würde sie den Blick in das Gesicht der Toten
vergessen lassen. Selbstredend war das Fahrradfahren auf der Kurpromenade
ebenfalls verboten, aber Mamma Carlotta ignorierte auch das. Sie blieb sogar
auf dem Sattel sitzen, als aus der befestigten Kurpromenade der hölzerne Kurweg
wurde. Nur dann stieg sie ab, wenn er vom Sand

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