Tod im Dünengras
wüssten, wie es zu Utta Ingwersens Ermordung gekommen war?
Erik verstand die Welt nicht mehr. Das allein war nicht
weiter schlimm, das kam des Ãfteren vor, wenn seine Schwiegermutter zu Besuch
war. Wenn er versuchte, ihren schnellen Gedanken und ihrem rasanten Redefluss
zu folgen, begriff er nicht selten viel zu spät, wovon die Rede war, manchmal
erst, wenn Mamma Carlotta und Felix in Gelächter ausbrachen und Carolin
grinsend den Kopf schüttelte.
Diesmal jedoch hatte er auch nach einer angemessenen Frist noch
nicht herausgefunden, warum Carolin ihn mit Tränen in den Augen einen total
blöden Vater genannt, Felix sich feixend die Hände gerieben hatte und von Sören
kein einziger solidarischer Blick gekommen war. Sein Assistent hatte nur stumm
auf seinen Teller geblickt, während Mamma Carlotta mit vielen überflüssigen
Worten versuchte, der aufgeladenen Stimmung die Explosionsgefahr zu nehmen. So,
wie sie es immer tat, wenn sie familiäres Unheil witterte. Aber wie und wo war
dieses Unheil entstanden? Erik war ratlos.
Dabei hatte er sich ehrlich gefreut, als er den blonden Jungen in
seiner Küche vorfand, von dem Felix ihm am Strand erzählt hatte. Er würde also
ausnahmsweise nicht hinter seiner Schwiegermutter zurückstehen müssen, wenn
demnächst von Carolins Liebesleben die Rede sein sollte, sondern genauso
vertrauensvoll mit dem Freund seiner Tochter umgehen können, wie Mamma Carlotta
es vermutlich längst tat. Und er wollte von Anfang an deutlich machen, dass er
nicht zu den eifersüchtigen Vätern gehörte, die dem ersten Verehrer der Tochter
mit Ablehnung begegneten.
»Schön, dich kennenzulernen«, sagte er also jovial und überlegte
fieberhaft, welchen Namen Felix genannt hatte, als er ihm von dem Jungen
erzählte, der Carolin bewogen hatte, sich der Volksmusik zu widmen. Zum Glück
fiel er ihm schon im nächsten Moment wieder ein. »Florian! Du musst mir
unbedingt erzählen, woher deine Familie stammt! Der Name Silbereisen ist mir
auf Sylt noch nie begegnet!«
Felix prustete in seine Suppe, der Junge mit den blonden Locken
schluckte den höflichen GruÃ, zu dem er zweifellos ansetzen wollte, hinunter,
und Carolin brüllte ihren Vater wütend an: »Du bist total blöd! Zum Glück will
er sowieso nicht bei uns essen! Wir gehen!«
Sie zerrte ihren Freund vom Stuhl, schob ihn zur Küchentür hinaus
und warf sie krachend ins Schloss. Erik starrte mit offenem Mund die Tür an.
Hatte er was falsch gemacht? Kannte er die Familie Silbereisen womöglich längst
und hatte nun verraten, dass keins ihrer Mitglieder Eindruck auf ihn gemacht
hatte? Felixâ Lob »Das hast du ja sauber hingekriegt, Papa!« konnte Erik nicht
erfreuen.
Er überlegte, ob es Sinn hatte, sich nach dem Grund für das
merkwürdige Verhalten seiner Tochter zu erkundigen oder ob er sich damit völlig
zum Deppen machte. Er wusste inzwischen, dass sechzehnjährige Töchter eine
andere Vorstellung hatten von dem, was peinlich war, als Menschen jenseits der
dreiÃig. Und selbst wenn man es ihm erklärt hatte, war er nicht unbedingt
schlauer gewesen als zuvor.
Ehe Erik zu einem Entschluss gefunden hatte, lenkte Sören das
Gespräch auf die Kette, die Dr. Hillmot in der Hand der Toten gefunden hatte.
»Was für ein Mist!«, begann Sören so plötzlich zu schimpfen, als
wäre er froh, etwas gefunden zu haben, was nichts mit pubertierenden Töchtern,
ahnungslosen Vätern und einem gewissen Florian Silbereisen zu tun hatte.
Erik war ihm dankbar dafür. »Ich hatte auch gedacht«, bestätigte er,
»dass die Kette uns zum Täter führen würde.«
Nachdem Vetterich, der Chef der Spurenfahnder, sie bei ihm
abgeliefert hatte, war Erik umgehend zur Muschel I gefahren, wo Harm Ingwersen damit beschäftigt war, seinen
Mitarbeitern Instruktionen für den Abend zu geben.
»Ich habe mich entschlossen«, erklärte er Erik, »das Restaurant
heute Abend zu öffnen. Wie immer! Ich selbst werde nicht arbeiten, aber mein
Oberkellner wird schon ohne mich klarkommen! Ich werde eine Schlaftablette
nehmen und versuchen, für ein paar Stunden alles zu vergessen.«
Er war blass, auf seinem Gesicht lagen Schatten, als wäre er
schlecht rasiert. Inzwischen trug er eine dunkle Jeans und ein weiÃes Hemd.
Obwohl Harm gut zehn Jahre älter war, kam Erik sich in seiner Gegenwart
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