Tod im Dünengras
helfen, seinen Mut nicht zu verlieren. Wenn Menschen wie Harm
Ingwersen sich von der Mafia einschüchtern lieÃen, dann war es um die Zukunft
der Insel schlecht bestellt.
Auf einmal musste er lächeln. Ob er selbst damit rechnen durfte,
dass ihm Felix als erwachsener Mann mit ebensolcher Liebe und Hochachtung
begegnen würde wie Arne Ingwersen seinem Vater? Der Junior hatte in Keitum
sofort alles stehen und liegen lassen, als er hörte, was geschehen war. Und als
er die Muschel I betrat, war er
wortlos auf seinen Vater zugegangen und hatte ihn in die Arme geschlossen. Harm
Ingwersen allerdings schien die innige Nähe zu seinem Sohn in Gegenwart der
Polizisten unangenehm zu sein, er löste sich schnell daraus. »Wir müssen jetzt
tapfer sein, mein Junge.«
Erik hatte sich gefragt, wie Arne wohl die Mitteilung aufnehmen
würde, dass seine Mutter gestorben war, weil sein Vater sich nicht hatte
einschüchtern lassen. Wie würde er reagieren, wenn er begriff, dass seine
Mutter noch leben könnte, wenn sein Vater klein beigegeben hätte? Würde es dann
mit der guten Beziehung zwischen Vater und Sohn vorbei sein?
Aber Erik hatte sich umsonst gesorgt. Kein Vorwurf kam über Arnes
Lippen. Er sah seinen Vater nachdenklich an, und dann sagte er leise: »Ich
wollte, ich hätte auch so viel Mut.«
Erik setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und strich so lange
seinen Schnauzer glatt, bis ihm klar wurde, was das ungute Gefühl zu bedeuten
hatte, das in ihm rumorte. Es war die fehlende Trauer um die Mutter. Arne
Ingwersen hatte sich um seinen Vater gesorgt, war voller Mitgefühl für ihn
gewesen, hatte ihn bewundert für seinen Mut, ihn bestärkt, das Richtige getan
zu haben ⦠aber Trauer um seine Mutter hatte er nicht gezeigt. Bestürzt war
er gewesen, ja, betroffen und auch erschrocken. Aber traurig? Nein!
Erik wurde in seinen Gedanken durch einen Anruf des
Gerichtsmediziners unterbrochen. Dr. Hillmot keuchte seinen Namen in den Hörer
und brauchte dann erst mal eine Weile, um Luft zu bekommen. Anscheinend hatte
er sich soeben neben Utta Ingwersens Leiche aufgerichtet. Möglich aber auch,
dass er mit der Tatortarbeit bereits fertig und nun in der Gerichtsmedizin
angekommen war. Die Treppe, die in die erste Etage führte, wo sein Büro lag,
hatte mindestens zwanzig Stufen. Ein ewiges Ãrgernis für Dr. Hillmot, das ihn
einen beträchtlichen Teil seiner Arbeitszeit kostete. Denn er musste nach jeder
fünften oder sechsten Stufe verschnaufen und auf dem Podest der ersten Etage
mehrere Minuten um Atem ringen, bis er sich in der Lage fühlte, die Klinke seiner
Bürotür nach unten zu stemmen.
»Ich verschone Sie mit Einzelheiten, mein Lieber«, pustete er in den
Hörer. »Nur so viel â die Frau ist nicht an dem Sturz von der Galerie
gestorben. Als sie unten ankam, war sie vermutlich schon tot.«
»Erschlagen?«
»Mit einem stumpfen Gegenstand, vermutlich aus Metall. Vetterich hat
keine Tatwaffe gefunden, also hat der Täter sie wohl mitgenommen.«
»Todeszeitpunkt?«
»Ich schätze, zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht. Einen
detaillierten Bericht bekommen Sie morgen.«
»Danke, Doc.«
»Ach, noch was ⦠in der rechten Hand der Toten habe ich ein
Kettchen gefunden. Vetterich wird es Ihnen gleich vorbeibringen.«
»Ach Lucia! Nur gut, dass du das nicht mehr erleben
musst!« Mamma Carlotta übergoss die Tomaten mit kochendem Wasser und starrte
trübe in die Schüssel, ohne zu sehen, wie das Wasser unter den Tomaten
hervorperlte und sie in träge Bewegung versetzte. »Ob es dein Vater gewesen
ist, der dich rechtzeitig zu sich geholt hat? Weil er von dort oben sehen
konnte, welches Unheil auf die Insel zukommt?«
Carlotta dachte kurz nach, dann rückte sie von dieser Möglichkeit
wieder ab. Nein, Dino hatte, als er noch im Vollbesitz seiner geistigen und
körperlichen Kräfte war, seinen Kindern beigebracht, dass Weglaufen keine
Lösung war. Er hätte dafür gesorgt, dass Lucia die Kraft hatte, sich zu
widersetzen. Andererseits ⦠gegen die Mafia zu kämpfen, das hätte er
sicherlich keinem seiner Kinder empfohlen. Was passierte, wenn man sich gegen
sie stellte, das sah man ja an dem armen Mann, der nun damit leben musste, am
Tod seiner Frau schuld zu sein.
Sie goss das Wasser von den Tomaten, die sich nun leicht häuten
lieÃen. Tove
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