Tod im Dünengras
schwerfällig
vor, regelrecht unattraktiv. Er war froh, dass niemand seine Gedanken lesen
konnte, als er insgeheim feststellte, dass Harm Ingwersen die Trauer gut stand.
Seine Freundlichkeit, seinen Charme hatte er notgedrungen eingebüÃt, aber der
Ernst, der in seinen Augen stand, machte ihn noch anziehender, als er ohnehin
war. Auch alle weiteren Gedanken, die Erik durch den Kopf gingen, hätte er
niemals laut ausgesprochen: Utta Ingwersen war keine sympathische Frau gewesen,
gut aussehend zwar, aber hochmütig und selbstgefällig. Hatte Harm sie womöglich
wegen ihres Geldes geheiratet und wegen des Restaurants, das er führte wie sein
eigenes? Erik betrachtete Ingwersen, während er ihm die Plastiktüte hinschob,
die die Halskette enthielt. Es war nie etwas laut geworden von Eheproblemen,
Seitensprüngen oder familiären Streitigkeiten bei den Ingwersens. Wenn über die
Familie getuschelt worden war, dann immer nur darüber, dass der Sohn seinen
Vater verehrte, auch die Schwiegertochter sich gut mit ihm verstand und die Mitarbeiter
für ihren Chef durchs Feuer gingen, während Utta es nicht einmal geschafft
hatte, zu ihrem einzigen Sohn ein liebevolles Verhältnis aufzubauen. Erik fiel
es schwer zu glauben, dass Harm Ingwersen eine Frau verloren hatte, die er
liebte, aber an seiner Loyalität zu ihr gab es wohl keinen Zweifel.
»Diese Kette hatte Ihre Frau in der Hand«, sagte Erik. »Es könnte
sein, dass sie sie ihrem Mörder abgerissen hat, als sie sich gegen ihn zur Wehr
setzte.«
Harm bewegte seinen Kopf so langsam hin und her, dass Erik nicht
sicher war, ob er ihn schüttelte oder nur seine Erschütterung ausdrücken
wollte.
»Haben Sie das Kettchen schon mal gesehen?«
Nun bewegte Harm den Kopf auf und ab. Kein Zweifel, er nickte.
»Sie kennen es? Sie wissen, wem es gehört?«
Harm schöpfte tief Luft. »Meiner Frau.«
Die Enttäuschung machte Erik stumm. Vor wenigen Augenblicken war es
noch sein gröÃter Schatz, das einzige mögliche Beweismittel gewesen, doch nun
lag nur noch ein billiges Kettchen zwischen ihnen auf dem Tisch. Wieso überhaupt
hatte Utta Ingwersen derart einfachen Schmuck getragen? Sie gehörte doch zu den
Frauen, die das Exklusive liebten.
Harm schob die Plastiktüte zurück. »Es stammt aus dem Laden«, sagte
er. »Vor ein paar Wochen hatte Utta diese Kettchen eingekauft und sich selbst
eins davon genommen. Ehe alle weg sind, hat sie gesagt. Die Kettchen gingen
anscheinend gut.«
»Hat sie es gestern Abend getragen?«, fragte Erik hilflos.
»Sie trug es seitdem ständig«, korrigierte Harm. »Ich glaube, sie
hatte es zu ihrem Talisman gemacht. Utta war nicht religiös, aber das kleine
Kreuz sollte sie wohl beschützen.« Er schluchzte trocken auf. »Warum hat sie es
sich abgerissen?«
Erik hob die Schultern und lieà sie deprimiert wieder fallen. »Der
Täter wird von hinten gekommen sein, dann hat er zugeschlagen. Der erste Schlag
war vermutlich noch nicht tödlich, ihre Hände fuhren zum Hals, weil ihr die
Luft wegblieb, dann kam der zweite Schlag, die Hände verkrampften sich â¦Â« Erik sprach nicht weiter.
Nach einer kurzen Pause nahm er die Plastiktüte wieder an sich. »Hat
der Mafioso sich schon wieder bei Ihnen gemeldet?«, fragte er, obwohl er sich
von Harm Ingwersens Antwort nichts erhoffte.
Es kam, was er erwartet hatte: »Ich möchte dazu nichts sagen.«
Erik nickte und senkte den Kopf. Er konnte Harm Ingwersen verstehen.
Der Mann hatte sich einmal mit der Mafia angelegt, noch einmal würde er kein
Risiko eingehen.
»Und ich möchte Sie auch bitten«, fuhr Ingwersen fort, »meinen Sohn
in Ruhe zu lassen. Ich will nicht, dass Sie ihn mit Fragen belästigen, die er
sowieso nicht beantworten wird.«
Erik nickte erneut. Jedem anderen hätte er gesagt, dass er sich in
seine Ermittlungsarbeit nicht dreinreden lasse und persönliche Wünsche
selbstverständlich nicht berücksichtigen könne. Aber hier war das etwas
anderes. Wer von der Mafia erpresst wurde, konnte unmöglich zu einer Aussage
gezwungen werden, erst recht nicht ein Mann, dessen Mutter soeben ermordet
worden war.
Was für ein vertrackter Fall! Erik erinnerte sich mit einem Mal an
einen Carabiniere, den er bei Verwandten seiner Frau kennengelernt hatte. Der
arme Mann war an seinem Beruf verzweifelt und hatte sich später
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