Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
verspreche dir, Geiseldrama in Dribbdebach wird in spätestens zwei Monaten erscheinen. Vertrau mir bitte, Schatz.“
„Aber …“
„Kein aber. Liebe ist auch, den anderen vor Unheil zu schützen.“
Herr Schweitzer merkte, wie Maria mit sich kämpfte. Dann gab sie ihm überfallartig einen Kuß und er wußte, er hatte die richtigen Worte gewählt. Zwar hatte er noch keinen blassen Schimmer, wie er sein Versprechen einlösen sollte, doch im Vergleich zur Mafia sollte dies doch ein Klacks sein.
Bei bilderbuchhaftem Frühlingswetter hatte sich Herr Schweitzer zu Fuß auf den Weg in die Kladde begeben. Auf der Suche nach einer verlorenen Socke war er vorhin auf die vergessene Pistole im Nachtschränkchen gestoßen. Ohne daß Maria davon etwas mitbekam, hatte er die Browning einfach eingesteckt. Damit ließe sich trefflich de Chriso niederstrecken, dachte er scherzhaft, das wäre ein prima Verwendungszweck.
Gerade hatte er die Sachsenhäuser Warte passiert und befand sich nun fast auf Höhe des Hotels Holiday Inn auf der Darmstädter Landstraße. Schon von weitem sah er den Nackten Jörg auf sich zukommen, den er schon lange nicht mehr gesehen hatte und der verläßlichen Informationen zufolge neuerdings meist mit dem Fahrrad unterwegs sei. Doch heute schien er eine Ausnahme zu machen. Der Nackte Jörg ist kein Hirngespinst, es gibt ihn wirklich. Vor ein paar Jahren wurde im Fernsehen sogar mal ein Beitrag über ihn gesendet, den Herr Schweitzer zu seinem Leidwesen nicht gesehen hatte. Bereits seit zwanzig Jahren lief der Nackedei mit derselben Verkleidung – Bekleidung wäre nicht ganz passend – durch Sachsenhausen. Nie hatte ihn jemand anders als mit Badelatschen und Walkman erblickt. Und kein Sachsenhäuser nahm mehr Anstoß daran. Ganz im Gegenteil, auf offener Straße grüßte man sich höflich, wenn man einander begegnete. Herr Schweitzer erinnerte sich noch gut an sein erstes Aufeinandertreffen mit ihm. Es war spätabends, der Nackte Jörg lief parallel zu ihm auf der anderen Straßenseite. Zuerst dachte Herr Schweitzer, der Herr da drüben laufe in einer schwuchteligen fleischfarbenen Tänzerstrumpfhose herum. Das dachte er so lange, bis er es baumeln sah. Was die Sache so über alle Maßen verzwickt machte, war die Tatsache, daß Herr Schweitzer an diesem Abend mächtig einen getankt hatte. Und dann war er noch gegen einen Laternenpfahl gerauscht, weil er seinen Blick nicht von dem Gebaumel loseisen konnte. Tschuldigung, wo kommen Sie denn her, hatte er in seinem völlig aus der Bahn geworfenen Verstand der Laterne nachgerufen, ehe er sich wieder der mutmaßlichen Luftspiegelung widmete. Noch komplexer gestaltete sich die Angelegenheit, als ein händchenhaltendes Pärchen den Nackten Jörg passierte, ohne sich auch nur umzudrehen. Herr Schweitzer, wer wollte es ihm verdenken, hatte daraufhin beschlossen, bis auf weiteres vom Alkohol Abstand zu nehmen. Es behagte ihm ganz und gar nicht, in so jungen Jahren schon dem Säuferwahnsinn anheimgefallen zu sein. Erst als er Wochen später dem Nackten Jörg abermals begegnet war, und er durch Befragen von Bekannten und Freunden dessen tatsächliche Existenz bestätigt wußte, beendete er seine Abstinenzphase.
Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, daß Hotels Touristen beherbergen. Ebenso kann es vorkommen, daß diese Touristen mittels Reisebus den Weg zum Hotel finden. Von daher ist an einem vor einem Hotel haltenden Reisebus nichts auszusetzen, ja, bei größeren Hotels erwartete man dies sogar geradezu. Und das Holiday Inn ist ein großes Hotel, von vielen Punkten Frankfurts aus ist es zu sehen, zumal es auf der Anhöhe Sachsenhäuser Berg erbaut wurde. So kam es, daß Herr Schweitzer den schwarzlackierten Reisebus eines madrilenischen Veranstalters einfach nicht wahrnahm. Auch dann noch nicht, als Busfahrer und Reiseleiterin aus der Tür stiegen und die Ladeklappe für das Gepäck öffneten. Spannend wurde es erst, als dem Fahrzeug eine große Gruppe asiatischer Touristen entströmte. Nur noch etwa fünfzehn Meter trennten den Nackten Jörg vom Schauplatz kommender Ereignisse, Distanz abnehmend. Herr Schweitzer wurde sofort aus seinen Gedanken gerissen und blieb stehen. Es war quasi ein Theaterstück mit Vorankündigung, da nicht davon auszugehen war, daß die Asiaten aus Sachsenhausen stammten und dem Nackten Jörg schon einmal begegnet waren. Als erster hielt ein männlicher Asiate mit Brille und Tirolerhut beim Kofferausladen inne und verkrampfte
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