Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
fast noch ein normaler Abend im Weinfaß. Das angesprochene Alkoholverbot mutierte zu einem Alkoholgebot. Die Anwesenden waren felsenfest davon überzeugt, Gott habe am siebenten Tage nicht geruht, sondern in einer letzten großen Kraftanstrengung sein Meisterstück, den Sachsenhäuser, abgeliefert. Das sei bis heute falsch überliefert, aber die Bibel ist ja sowieso bloß eine Auswahl von damals niedergeschriebenen Texten. Eine Best of Evangelien, sozusagen.
Später sollte René noch in einem Dekolleté verschwinden.
Was zum damaligen Zeitpunkt noch niemand wissen konnte: Die Tage der Mafia in Sachsenhausen waren gezählt, doch es sollte knapp werden. Knapper als den meisten lieb war.
Der Schock kam kurz nach dem Erwachen. Das geht zwar vielen Frauen und Männern so, die nach durchzechter Nacht in diffusen Kneipen oder nikotingeschwängerten Tanzclubs ihre neuen Eroberung im harten Licht des Morgens erblicken, doch war im vorliegenden Fall nicht Marias Aussehnen der Auslöser, sondern das, was sie sagte.
Nach dem obligaten Morgenkuß, während sie noch an Herrn Schweitzer herumfummelte, erzählte sie mit überbordender Freude: „Simon, Schatz, hab ich dir gestern ganz vergessen zu sagen, ich treffe mich heute nachmittag mit meinem neuen Verleger. Du weißt schon, ich hab dir von ihm erzählt.“
So weit, so gut. Herr Schweitzer erinnerte sich.
Doch dann überreichte Maria ihm ein Buch mit den Worten: „Da, das hat er mir geschickt. Hat er selbst geschrieben. Ist das nicht süß?“
Herr Schweitzer freute sich mit seiner Liebsten. Voller anteilnehmendem Glück nahm er das Werk entgegen und betrachtete den Umschlag.
Das Lächeln erstarb und wich einer Grimasse. Lieber Gott, mach, daß das nicht wahr ist, dachte Herr Schweitzer. Doch der liebe Gott hatte Feierabend. Scheiße, dachte Herr Schweitzer, ich hätte das verhindern können, wenn … ja, wenn die Mafia nicht all meine Gedanken absorbiert hätte. Ausgerechnet dieses Arschloch. Der größte Idiot von ganz Sachsenhausen. Wilhelm de Chriso. Ein Verleger holländischer Provenienz, der, wie Insidern bekannt, seine Autoren regelrecht abzockte, indem er ihnen kein Autorenhonorar zahlte, wie es bei seriösen Verlagen üblich ist, sondern von den meist unerfahrenen Schriftstellern Geld verlangte, damit deren Werke überhaupt veröffentlicht werden. De Chrisos Gewinn fiel bei diesem Verfahren so hoch aus, daß er davon seinen aufwendigen Lebensstil finanzieren konnte. Soweit Herr Schweitzer wußte, nannte er diese Forderungen Druckkostenzuschuß. Und ausgerechnet an diesen pfeifenrauchenden Schmarotzer, der sich für den Salvator deutscher Gegenwartsliteratur hielt, war seine Maria geraten. Das Pfeifenrauchen, dieses ridiküle Intellektuellengehabe, hatte er von seiner Frau empfohlen bekommen, damit sähe er Günter Grass ähnlicher. Zwei-, dreimal war er ihm in der Kladde, de Chrisos Stammkneipe, begegnet, wo er immerfort große Reden schwang und glaubte, mit seinen Worten Massen zu elektrisieren. Er war dermaßen von sich überzeugt, daß er annahm, sogar Nobelpreisträger müßten vor ihm in Ehrfurcht erstarren, da selbst die Poesie, die aus seiner Feder floß, wenn er nur ein Kreuzworträtsel löste, alles andere um ihn herum zur Gewöhnlichkeit degradierte. Dabei waren seine Ergüsse nichts anderes als erbarmungswürdiger Schrott. Herr Schweitzer hatte mal eines seiner Bücher in der Hand gehabt – eine Autobiographie, Wilhelm de Chriso schrieb permanent Autobiographien –, eine Seite gelesen, und das Elaborat dann voller Zorn in die Ecke gefeuert. Selbst ein Arztroman, mit denen frau sich so gerne eine heile Welt erträumt, besaß dagegen einen höheren literarischen Anspruch. Und das ausgerechnet jetzt, dachte Herr Schweitzer, wo wir alle Hände voll zu tun haben.
Was sollte er nun, da seine Freundin so erwartungsfroh einen anerkennenden Kommentar von ihm erwartete, wohl sagen? Hoffentlich war die Sache noch nicht so weit gediehen, daß sie nicht mehr rückgängig zu machen war. „Hast du den Vertag schon unterschrieben?“
„Nein, mach ich nachher, wieso? Ist was mit dir? Komm, sag schon, irgendwas stimmt doch nicht. Ich merk das doch.“
Mit mir ist soweit alles in Ordnung, dachte Herr Schweitzer. Fieberhaft suchte er nach schonenden Worten. „Hör zu, Schatz.“
Maria richtete sich auf.
„Dieser de Chriso, wie soll ich sagen … ist nicht ganz koscher.“
„Du kennst ihn?“
„Ja leider. Paß auf, ich erledige das für dich und
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