Tod im Herbst
Gespräch war auf Englisch geführt worden, auf beiden Seiten ein wenig holprig, aber hinreichend. Jedesmal, wenn das Klappern der Schreibmaschine aufhörte, redeten sie weiter. Der Hauptmann war unrasiert und nicht besonders glücklich, um drei Uhr morgens aus dem Bett geholt worden zu sein. Wenn er auch für Ausländer, die mit Rucksäcken und wenig Geld durch das Land zogen, nicht viel übrig hatte, so war er doch beein druck t vo n de m Erns t un d de r offenkundige n Intelligenz der beiden Schweden und mehr oder weniger geneigt, ihre Geschicht e z u glauben , nac h anfängliche n Bedenken , ob sie nicht bloß einen warmen Ort suchten, wo sie den Rest der Nacht verbringen konnten.
»Sie beschlossen also, im Freien zu schlafen?«
»Zu diesem Zeitpunkt blieb uns keine andere Wahl mehr.«
»Warum der Ponte Vecchio?«
»Das ist bei jungen Leuten eine beliebte Schlafstelle.« Das stimmte, un d i n de r Rege l schliefe n si e s o lange , daß di e Leute , di e morgen s au f de m We g zu r Arbei t di e Brücke überquere n wollten , sic h ein e Gass e durc h di e dich t bei einanderliegenden , schmuddelige n Schlafsäck e bahnen mußten.
»Wann haben Sie die Leiche gesehen?«
»Gleich, nachdem wir dort eingetroffen waren. Wir beugte n un s übe r da s Brückengeländer , i n de r Mitte , dort , w o es keine Läden gibt.«
»Warum?«
»Warum?«
»Warum haben Sie sich über das Brückengeländer ge beugt?«
Der junge Mann guckte überrascht. »Um den Blick zu genießen , di e Lichte r au f de m Wasser . E s is t seh r schön.«
»War noch jemand auf der Brücke?«
»Nein, niemand.«
»Sie haben mir noch immer nicht gesagt, um wieviel Uh r da s war.«
»Ic h hab e nich t au f mein e Uh r gesehen , tu t mi r leid , ich habe nicht daran gedacht. Aber sobald wir uns sicher waren , sin d wi r losgegangen , ic h würd e sagen , hierhe r sin d es zu Fuß höchstens fünf Minuten, also...«
Der Hauptmann sah an ihm vorbei zum Wachtmeister, der dastand und die Szene mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete.
»Es war drei Uhr siebenundzwanzig, als sie hier ein trafen.«
»Danke. Fahren Sie bitte fort!«
»Naja , wi r ware n zuers t nich t sicher , wa s e s war . Wir konnten bloß eine dunkle Gestalt erkennen, unter der Brücke. Ein paar Felsblöcke lagen dort im Wasser, bei einem Pfeiler, und diese Gestalt schlug leicht dagegen.
Dann muß sie freigekommen sein. Jedenfalls rollte sie herum und wurde weitergetrieben, so daß sie im Licht der Brücke deutlicher zu erkennen war. Sie kam nur langsam voran, als würde sie auf dem Grund entlangschleifen, also vermutlich war das Wasser dort nicht sehr tief. Wir sahen das Gesicht und die Haare. Nur ein paar Sekunden, weil die Gestalt dann aus dem Lichtschein verschwand, sich wieder herumdrehte und versank. Jedenfalls nehmen wir das an. Wir konnten sie nicht mehr sehen, aber das konnt e natürlic h einfac h a n de r Dunkelhei t gelegen haben.«
Wieder machten sie eine Pause, damit der Hauptmann übersetzen konnte, und die Schreibmaschine klapperte wieder. Der zweite Beamte brachte frischen Kaffee. Alles zweimal durchgehen zu müssen, machte es zu einer zeitraubenden Angelegenheit.
»Warum sind Sie hierher gekommen?«
»Was?... Naja, um zu melden, was wir gesehen haben, ic h mein e ...«
»Aber warum ausgerechnet diese Wache? Sie hätten von der nächstbesten Telefonzelle aus den Polizeinotruf wähle n können.«
»Ach so, ich verstehe, aber das ging nicht. Wir hatten keine Telefonchips, wir sind erst heute angekommen und wi r hatte n dies e Wach e scho n vorhe r gesehen , al s wi r hier auf der Piazza waren, wissen Sie. Wir hatten den Palazzo Pitti besichtigt, sahen dann das Schild und die Klingel, also kam uns natürlich der Gedanke, hierher zu gehen.«
»Aha. Können Sie mir sagen, was Sie den ganzen Tag gemacht haben?«
»Sie glauben doch nicht, daß wir mit der Sache was zu tu n haben?«
»Das habe ich nicht gesagt. Trotzdem muß ich genau wissen, wie Sie den Tag verbracht haben. Wenn ich Sie bitten darf, für einen Moment wieder im Wartezimmer Platz zu nehmen? Sie können sich dort alles in Ruhe überlegen , währen d ic h i n de r Zwischenzei t eine n Anruf erledige.«
Nachdem sie hinausgebracht worden waren, schaute der Hauptmann den Wachtmeister an und sagte: »Was meine n Sie? « E r hatt e i m Lauf e de r Jahr e gelernt , da ß es sich immer lohnte, Guarnaccia nach seiner Meinung zu fragen , selbs t wen n di e Antwor t ers t nac h dre i Tage n kam. Diesma
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