Tod im Moseltal
hin, dass dieses ›Häufchen Elend‹ heute Nacht eine Frau umgebracht hat. Warum, weiß er selbst womöglich nicht. Vielleicht hat er die Geschehnisse verdrängt und spielt uns hier tatsächlich kein Schauspiel vor. Das ist mir im Moment aber ziemlich egal, Frau Steyn. Ihr Mann ist der einzig in Frage kommende Täter, und deshalb werden wir ihn mitnehmen.«
Buhle hielt kurz inne, zog seine Stirn kraus und fuhr dann in etwas neutralerem Tonfall fort: »Und auch Sie sollten sich überlegen, wo Sie heute Nacht unterkommen, denn das Haus wird als Tatort versiegelt werden, bis die Ermittlungen es erlauben, dass Sie mit Ihren Kindern wieder hierher zurückkommen können. Ihr Mann wird dies so schnell sicher nicht tun.«
*
Marie hatte nur noch ein paar Worte mit Thomas gewechselt. Was hätte sie ihn auch fragen sollen in Anwesenheit der Beamten: »Hast du sie auch wirklich nicht ermordet?« – »Doch, unter uns, ich war es.« Das Gespräch wäre zur Farce geworden.
Sie saß noch immer in Mattis’ Zimmer.. Thomas war verhaftet und abgeführt worden. Dieser Kommissar Buhle hatte kein Wort mehr gesagt. Wozu auch, es schien ja alles klar. Aber sie kannte ihren Mann, auch wenn sie sich in den vergangenen Jahren voneinander entfernt hatten. Das konnte er nicht getan haben.
Marie betrachtete die Bilder an der gegenüberliegenden Wand, die ihr Sohn gemalt hatte. Viele waren es nicht mehr. Es war ja auch »total uncool« für einen Zehnjährigen. Die drei Bilder zeigten ausschließlich Unternehmungen, die Mattis allein mit Tom gemacht hatte: der Besuch im Hochseilgarten in Traben-Trarbach, die Paddeltour auf der Sauer und der erste Stadionbesuch auf dem Betzenberg. An das FCK-Bild hatte Mattis die Eintrittskarte vom letzten Heimspiel in der Aufstiegssaison geklebt. »Alles Sachen, bei denen Frauen nichts zu suchen haben«, hatte er ihr mit stolzgeschwellter Brust erklärt.
Marie hatte es immer gefallen, wie gut sich Thomas um die Kinder kümmerte. Auch als die Geschäftsreisen zunahmen und er häufiger für ein paar Tage, später auch Wochen weg war, dachte er immer an Nettigkeiten für die beiden; ein kurzer Anruf, ein Mitbringsel, eine Karte, die längst nach ihm eintraf. Mattis und Nora liebten ihren Vater. Ja, auch mit seiner Tochter fand er meistens die richtigen Spiele, alberte mit ihr rum, ging mit ihr auf Entdeckungstour. Wenn Thomas dabei war, spielten die Kinder sogar miteinander, was sonst mittlerweile unmöglich war. Tom war zweifellos ein Traumvater, nur leider nicht der Traummann, den Marie zunächst glaubte geheiratet zu haben.
Sie schloss die Augen. Dass er sich hier mit einer Frau getroffen hatte, war der eigentliche Schock für sie. Die Sache mit dem Mord hielt sie immer noch für einen Irrtum, auch wenn die Leiche in ihrem Haus eindeutig Realität sein musste.
Marie hörte Schritte auf der Treppe. Zum Glück trat der ältere Kollege von diesem Buhle ein. »Frau Steyn«, seine Stimme war betont freundlich, »haben Sie sich überlegt, wo Sie heute übernachten werden? Wir könnten jetzt auch zusammen in Ihr Schlafzimmer gehen, falls Sie noch Kleidung mitnehmen wollen.«
»Ist die Tote nicht mehr … im Haus?«
In Marie Steyns Augen spiegelte sich erstmals so etwas wie Furcht, seit Paul Gerhardts sie vor einer knappen Stunde das erste Mal gesehen hatte. Er war erstaunt, wie beherrscht die Frau gewesen war, auch wenn die Situation ihr augenscheinlich emotional zusetzte. Besonders überraschte ihn aber die Distanz, die sie beim Anblick ihres Mannes aufgebaut hatte, obwohl sie seine Schuld klar und für ihn auch authentisch in Frage stellte. Diese Beziehung schien also auch nicht mehr intakt zu sein.
»Die Tote wurde zwischenzeitlich in die Gerichtsmedizin gebracht. Sie ist nicht mehr im Haus.« Gerhardts versuchte, die Gemütsregungen im Gesicht von Marie Steyn zu ergründen, und fügte hinzu: »Gegenwärtig deutet auch nichts darauf hin, dass die Frau sich in Ihrem Schlafzimmer aufgehalten hatte.«
Er freute sich ein wenig über den Anflug von Erleichterung, der kurz über die fast schwarzen Augen der Frau huschte. Für sie musste der Tag seit ein paar Stunden nur noch furchtbar gewesen sein. All ihre Zweifel, ihre Wut und ihre Sorgen waren für ihn deutlich spürbar. Er litt stets mehr mit den Hinterbliebenen, sowohl des Opfers als auch des Täters. Für sie brach fast immer eine Welt zusammen, obwohl sie völlig unbeteiligt an den Geschehnissen waren. Und sie mussten damit leben. Was er da in den
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