Tod im Moseltal
zurückliegenden drei Jahrzehnten erlebt hatte, ließ ihn immer wieder vom Vorruhestand träumen. Mit den Toten und den Mördern hatte er hingegen kein Problem. Ihr Schicksal hatte sich im Moment der Tat entschieden.
Es schien Gerhardts, als führte er Marie Steyn durch ihr eigenes Haus. Sie folgte ihm zögerlich, aber ohne Widerspruch. In den vergangenen vier Stunden hatten die Teams der Spurensicherung ihr Programm routiniert abgespult. Hatten den Tatort gesichert, die Räume im Erdgeschoss nach Spuren durchsucht, Säcke und Kartons mit Beweismaterial zur weiteren Untersuchung im Labor weggetragen, jede Ecke des Hauses auf Fotos festgehalten. Sie hatten den Tatort buchstäblich seziert. Nun waren die Leute der Spurensicherung verteilt im Keller, im Dachgeschoss und draußen ums Haus. Er und Marie Steyn trafen nur noch auf die Kollegen vom Ermittlerteam, die sich betont unauffällig verhielten.
Sie packte einen kleinen Trolley mit den notwendigsten Kleidungsstücken und Dingen für die tägliche Körperpflege, dann holte sie Geld aus einer Schublade des Küchenschranks und Winterjacke und -schuhe aus dem Keller. Als sie wieder im Wohnzimmer angekommen waren, beobachtete Gerhardts, wie sie sich unschlüssig in die Mitte des großzügig und modern gestalteten Raumes stellte. Sie betrachtete das Zimmer, als ob sie für längere Zeit nicht mehr zurückzukehren glaubte.
»Ich denke, dass Sie in zwei, drei Tagen wieder hierher zurückkommen können. Dann sollten alle Untersuchungen abgeschlossen sein. Es könnte aber nötig sein, dass wir uns mit Ihnen vorher noch einmal hier treffen müssen, damit Sie uns mitteilen, ob sich irgendetwas in Ihrer Abwesenheit verändert hat. Ob etwas fehlt oder vielleicht auch fremde Gegenstände da sind. Das können wir ohne Ihre Hilfe nicht erkennen. Oder können Sie dazu jetzt schon etwas sagen?«
Marie Steyn schaute sich um und dann zu ihm hinauf. Wortlos zuckte sie kurz mit den Schultern.
»Wir könnten Sie morgen früh abholen und zusammen hierher fahren. Wie können wir Sie denn erreichen, und wo werden Sie die Nacht verbringen? Ich muss Sie das leider fragen.«
Als Marie ihm in die Augen schaute, erkannte er sofort, dass sie noch nicht wusste, wo sie jetzt hinsollte. War sie hier vorhin noch als selbstbewusste, energische Frau aufgetreten, machte sie jetzt einen verlorenen Eindruck. Aber auch das kannte Gerhardts aus vielen Fällen: Wenn das Adrenalin, das nach der ersten Konfrontation mit der katastrophalen Nachricht ausgestoßen wurde, erst mal abgebaut war, fielen die Menschen wie ein schlecht gebautes Kartenhaus in sich zusammen. Marie Steyn hielt sich da noch relativ gut. »Können Sie bei Ihren Schwiegereltern unterkommen?«
Als Antwort blickte sie ihm erstaunt in die Augen. Ihr rechter Mundwinkel zog sich spöttisch nach oben und offenbarte ein kleines Grübchen. Paul Gerhardts ahnte, dass ein Lachen dieser Frau in angenehmeren Situationen ein Glücksfall für jeden sein musste.
Sie schüttelte leicht den Kopf. »Nein, ich glaube, das ist kein guter Gedanke. Wissen denn meine Schwiegereltern schon von … dem Mord?«
»Von uns ist noch keine Mitteilung erfolgt. Wir müssen zunächst die Fakten vor Ort sammeln, Ihren Mann eingehend vernehmen, sobald er sich wieder gesammelt hat, und die Nachbarn hier befragen. Wobei, damit dürften die Kollegen bereits durch sein. Erst danach werden wir auch mit Angehörigen, Freunden, Kollegen und anderen Bekannten reden, mit denen Ihr Mann zu tun hatte. Ich befürchte nur, die meisten werden dann schon von anderer Seite Bescheid wissen.«
Als Marie Steyn ihn fragend anblickte, fuhr er fort: »Der Mordfall hier wird sicher schnell die Runde machen. Die ersten Journalisten lauern bereits vor Ihrem Grundstück, und die Nachbarn werden erfahrungsgemäß gerne erzählen. Bei dem Polizeiaufgebot, dem Leichenwagen und dem Abtransport Ihres Mannes vorhin in einem Streifenwagen wird sich jeder sehr schnell zusammenreimen, was hier vorgefallen sein muss. Und meistens wird dann auch noch ein bisschen mehr als die Wahrheit verbreitet.«
Gerhardts legte seine Stirn in tiefe Falten. »Es tut mir wirklich leid für Sie, aber da sollten Sie sich nichts vormachen. Die Trommeln in Trier waren schon immer schnell … und laut.«
Die Farbe war aus Marie Steyns Gesicht gewichen; selbst ihr südländischer Teint vermochte dies nicht zu kaschieren. Paul Gerhardts spürte, wie erst jetzt eine weitere Erkenntnis in ihr wuchs. Die Öffentlichkeit ging mit
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