Tod im Moseltal
Indiziendichte ließ keinen Zweifel mehr zu. Nur gab es bislang keine Spur vom Verdächtigen.
Das änderte sich mit einer Unfallmeldung aus Südfrankreich.
»Das Wohnmobil von Dennis Mazzomaid wurde gefunden«, berichtete Bertrand Parfait als französischer Vertreter in der gemeinsamen Stelle in Luxemburg persönlich. »Es liegt im Meer, nur ein paar Kilometer westlich von Marseille, am Fuß der Steilküste. Die Kollegen schreiben hier in ihrem Fax, dass das Auto auf einer abgelegenen Nebenstrecke aus den Bergen kam. Es muss mit sehr hoher Geschwindigkeit geradeaus gefahren sein und ist dann die bestimmt fünfzig Meter hohen Felsen ins Meer gestürzt. Das muss schon am Montag passiert sein. Die Kollegen sind mit Booten und Tauchern an der Unglücksstelle, aber es ist sehr schwierig, etwas Genaueres zu sagen.«
»Hat man die Leiche von Mazzomaid gefunden?« Ducard und Buhle stellten die Frage gleichzeitig.
»Nein, hat man nicht. Es kann sein, dass der Fahrer bei dem Sturz aus dem Auto geschleudert wurde. Wahrscheinlich ist das Fahrzeug noch mehrmals mit der Felswand kollidiert.«
Im Kreis der Ermittler herrschte ratloses Schweigen. Es war Buhle, der es brach: »Ich glaube nicht, dass wir vor der französischen Küste Mazzomaids Leiche finden werden. Er will uns nur in die Irre führen, ich bin mir sicher. Die Frage ist nur, warum?«
»Entweder er täuscht einen Unfall vor, um unterzutauchen, oder aber, um hier ungestört sein Werk zu vollenden«, sagte Ducard bestimmt. »Und ich persönlich glaube nicht, dass so jemand einfach aufgeben wird.«
»Aber wir müssen der Sache mit dem Wohnmobil nachgehen.« Der französische Kommissar hätte wohl gerne die leichte Lösung des Falls gehabt.
»Selbstverständlich«, sagte Buhle. »Wir dürfen keine Frage offenlassen. Aber ich bin auch der Meinung von Henri. Wir müssen hier auf Nummer sicher gehen und dürfen uns nicht täuschen lassen. Solange die Leiche von Mazzomaid nicht gefunden ist, glaube ich nicht an seinen Tod.«
*
Marie räumte den Frühstückstisch ab, während ihre Schwiegermutter mit den Kindern im Bad beim Zähneputzen war. Sie fühlte sich innerlich hin- und hergerissen, war emotional so labil, wie sie es seit dem Tod ihrer Großmutter nicht mehr erlebt hatte. Auf der einen Seite waren die zwanzig Minuten, die sie mit ihren Kindern und deren Großeltern an einem Tisch saß, das kleine Stück einer Familienidylle, die sie sich seit ihrer Kindheit immer so erhofft hatte. Aber das Fehlen von Thomas in dieser Runde zeigte, was sie zwar noch nicht realisiert hatte, aber doch spürte: Es würde diese Idylle als Ganzes nie geben.
Nachdem sie Mattis an seiner Schule in der Innenstadt abgesetzt hatte, fuhren sie und Nora hinauf zum Höhenstadtteil von Neu-Kürenz. Sie beobachtete ihre Tochter im Rückspiegel, als sie die Abzweigung nach Avelsbach passierten, und meinte eine kurze Traurigkeit in deren Blick aufblitzen zu sehen.
In der Grundschule wurden sie von der Schulleiterin empfangen, die Nora besonders freundlich begrüßte. Als Nora zu ihrer Klasse lief, schauten sich die beiden Frauen lange an. Sie verband eine gute berufliche Zusammenarbeit und eine hohe gegenseitige Wertschätzung, nicht mehr. Somit schloss sich eine offene Herzlichkeit zwischen ihnen aus. Doch der warme Blick der Rektorin, mit dem sie Marie umarmte, war wie das Öffnen einer Schleuse, durch die eine plötzliche Flut an Zuversicht in Marie hineinströmte. Sie bedankte sich mit einem langen Händedruck dafür.
*
Als Thomas den Trierischen Volksfreund aus dem Briefkasten holte, bemerkte er den Reporter, der ihn mit einem riesigen Teleobjektiv über die angrenzende Obstwiese hinweg fotografierte. Er hörte in sich hinein, ob sich irgendwo Zorn rührte, aber zu seiner Überraschung blieb alles ruhig. Er las die Berichterstattung über seine Freilassung und die Suche nach dem neuen Tatverdächtigen, aber so etwas wie Erleichterung wollte sich nicht bei ihm einstellen.
Da er nichts zum Frühstücken im Haus hatte, beschloss er, ins nahe gelegene Einkaufszentrum zu fahren. Auf dem Weg zu seinem Auto wurde er nun schon von drei Fotografen ins Visier genommen. Er fuhr rückwärts auf die Baltzstraße und musste dabei aufpassen, nicht gegen das Polizeiauto am gegenüberliegenden Straßenrand zu stoßen. Zwischenzeitlich war dort ein Schichtwechsel erfolgt. Ein kräftiger Polizist in seinem Alter saß jetzt am Steuer, neben ihm eine viel jüngere hübsche Frau. In dem Haus hinter dem
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