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Tod im Moseltal

Tod im Moseltal

Titel: Tod im Moseltal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Ness
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parkenden Auto bemerkte er das Gesicht der alten Nachbarin hinter der sich leicht bewegenden Gardine. Sie war die Großmutter von Stefan Thieles, mit dem er als Kind befreundet gewesen war, zumindest soweit das damals ging. Jetzt grüßten Thieles und er sich immerhin noch und tranken auf Festen gelegentlich noch ein Glas Wein miteinander. Seine Oma, die von der harten Arbeit in den Weinbergen, im Haus und im Garten gezeichnet war und damals schon sehr alt aussah, hatte ihnen oft Obst und Beeren zugesteckt. Jetzt betrachtete sie ihn vielleicht immer noch als Mörder, zumindest aber als Familienungeheuer. Ansonsten sah er keinen weiteren Bewohner des Weilers, was ihm ausgesprochen recht war.
    In der Bäckerei ignorierte er die misstrauischen Blicke der Verkäuferin. Er hatte sich ein kleines Frühstück bestellt und war mit den zuvor gekauften Tageszeitungen der Großregion zur kleinen Sitzecke gegangen. Die MoZ hatte ihn offensichtlich immer noch im Visier, während die LëtzTalk mit erheblicher Kraftanstrengung zurückruderte. Zusammen mit der Lektüre der anderen luxemburgischen Zeitungen konnte er sich nun ein gutes Bild machen, wie die Öffentlichkeit die Morde und seine Person präsentiert bekam.
    Er brauchte sich da keiner Illusion hinzugeben. Auch wenn er nicht mehr als Täter galt, es war zu viel über ihn geschrieben worden, als dass er auf vollständige Rehabilitierung hoffen konnte. Das also hatte Mazzomaid immerhin geschafft: Seine Hoffnung auf ein bürgerliches Leben hier in seiner Heimatstadt war zerstört. Doch es war ihm klar, dass er selbst daran die größte Schuld trug, indem er seine große Zukunftschance, Marie und damit auch die Kinder, schon vor Jahren verraten hatte. Warum es ihn dazu getrieben hatte, war ihm nun unverständlicher denn je.
    Wenn er Schadensbegrenzung betreiben wollte, musste er jetzt auf Marie zugehen. Er musste so etwas wie Reue signalisieren, auch wenn sich diese Art von Empfindung ihren Weg durch das Dickicht an Verbitterung noch nicht bahnen konnte. Er ließ die Zeitungen und das zweite Brötchen liegen und ging in Richtung Universität.
    Um den Campus hatte sich in den letzten drei Jahrzehnten ein großer Stadtteil entwickelt, und nur sein Name »Trimmeiter Hof« erinnerte daran, dass hier vor einem halben Jahrhundert nur Äcker und Wiesen mit einem Bauernhof zwischen dem Dorf Tarforst und dem Moseltal gelegen hatten. Heute war das Plateau komplett zugebaut.
    Thomas nutzte den Laufpfad entlang dem Unisportplatz als Fußweg. Außer dem Polizisten, der ihm in dreißig Metern Abstand folgte, war niemand auf dem mit feinem Splitt bedeckten Weg. Er schlenderte hinter der Turnhalle vorbei, durch das alte Stadtteilzentrum »Im Treff« mit seinen regional untypischen Ziegelsteinfassaden. Schließlich stand er vor den verschachtelten Universitätsgebäuden, deren ausgebleichte rote, gelbe und blaue Wandverkleidungen zeigten, dass die Aufbaujahre der Hochschule lange zurücklagen.
    Er folgte den Fußwegen am Studierendenhaus und dem Drittmittelgebäude vorbei zu der Parkanlage mit dem großen Teich. Dort setzte er sich auf eine Bank und betrachtete die gekräuselte Wasseroberfläche mit dem bizarren Farbspiel von reflektierendem blauen Himmel, weiß-grauen Wolken, dem restlichen roten Laub der Ufergehölze und hellbraunen Röhrichten. Nach einer Weile nahm er sein Handy und rief bei seiner Frau an.
    »Hallo, Thomas, bist du es?« Marie hatte zwei Klingelzeichen gebraucht, um sich für die Annahme des Anrufs zu entscheiden.
    »Ja, ich bin es. Ich wollte … ich muss mit dir sprechen.«
    »Ja … natürlich. Wann?«
    »Am besten gleich. Ich bin hier am Teich, unterhalb der Bibliothek.«
    Es trat eine Pause ein. Natürlich hatte er geahnt, dass es schwierig sein würde. Marie hatte zu viel über seine jüngste und frühere Vergangenheit erfahren, was er bewusst verschwiegen hatte. Allein diesen Vertrauensbruch würde sie ihm nicht verzeihen, selbst wenn sie seine Seitensprünge ertragen könnte.
    »Okay, komm in mein Büro. Du weißt noch, wo das ist?«
    Dass sie ihn treffen würde, hatte er gehofft. Überrascht war er aber über die Öffentlichkeit, die sie dabei zuließ. Er schaute auf die Uhr. Es war bereits Viertel vor zwölf.
    »Ich hoffe, ich finde es noch. Es ist schon länger her, dass ich das letzte Mal da war.«
    »Ein Mal, du warst ein Mal hier, nachdem ich wieder an der Uni angefangen hatte: zum Kistenschleppen. Das Gebäude ist ausgeschildert, du musst links an der

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