Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
wartete. Bevor sie aufschloss, schaute sie noch schnell auf ihr Smartphone, welches keine neuen Nachrichten anzeigte. Wo war ihre Jacke eigentlich? Jedenfalls trug sie diese nicht mehr. Auch ihren Wollpullover konnte sie nicht fühlen. Erst jetzt realisierte sie erschreckt, dass sie nur noch in ihrem BH und einem Slip auf einer alten Matratze saß. Sie konnte sich daran erinnern, dass sie morgens eine Kombination angezogen hatte, die farblich nicht zueinander passte. Einen weinroten BH und einen schwarzen Slip.
Lisbeth war sich sicher, dass ihr Entführer auch die beiden Studentinnen auf dem Gewissen hatte. Vermutlich derselbe Kerl, der das Gedicht geschrieben hatte und sich lächerlicherweise als Frank Thiel ausgab. Aber was genau wollte er denn von ihr?
Sie entsprach weder dem Alter noch dem Aussehen der beiden Opfer. Bei dem Gedanken, dass auch sie erdrosselt werden könnte, schnürte es ihr die Kehle zu. Instinktiv wollte sie sich an den Hals greifen, was durch die Handschellen jedoch verhindert wurde. In diesem Augenblick gab es sicherlich wichtigere Probleme, aber sie hätte jetzt am liebsten eine Zigarette geraucht, um sich zu beruhigen und klar denken zu können.
» Scheiße.« Sie wollte in dieser Situation stark sein, hörte sich nun aber selbst schluchzen. Als sie sich vor elf Jahren nach dem Abitur bei der Polizei beworben hatte, tat sie es, um genau solche Arschlöcher, die sich an wehrlosen Frauen vergriffen, zu verfolgen und hinter Gitter zu bringen. Natürlich hatte man während ihrer Ausbildung und auf Seminaren versucht, sie auf die unterschiedlichsten Situationen vorzubereiten. Es wurde gesagt, dass man in Ausübung seiner Pflicht sogar sein Leben verlieren könnte. Aber keiner hatte ihr von einem feuchten Kellerloch erzählt, verdammter Mist.
Sie hatte früher als Kind bereits den Stubenarrest ihres strengen Vaters gehasst. Es bedeutete ihr unendlich viel, frei zu sein und jederzeit dorthin gehen zu können, wo hin sie wollte. Als sie im Rahmen ihrer Ausbildung den Knast besuchte, wusste sie, dass sie als Häftling keine drei Monate durchgehalten hätte, sie wäre verrückt geworden durch das Eingesperrtsein und durch den engen Raum. Aber selbst die Knackis trugen keine Handschellen in ihrer Zelle. In ihrer jetzigen Situation rangierte sie also noch unterhalb von Mördern, Vergewaltigern und Kinderschändern, was die Bewegungsfreiheit anging. Na toll, das hast du ja fein hingekriegt, Lisbeth.
Als Paul sie nach der Blumen-und-Gedicht-Aktion bis zur Wohnungstür begleitete, hatte sie es noch als übervorsichtiges Machogehabe abgetan. Paul war aber gar kein Macho, er war einfach nur ernsthaft besorgt gewesen. Zu Recht!
Sie begann nach Leibeskräften um Hilfe zu schreien , bis ihre Stimme heiser wurde und ihre Kehle brannte. Plötzlich vernahm sie Geräusche von draußen. Als wenn jemand eine alte Holztreppe hinunter ginge. Sie war sich nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, um Hilfe zu schreien. Vielleicht hatte sie jetzt jemand erst richtig wütend gemacht.
***
Ein böiger Wind pfiff durch Oldenburg, viel zu kalt für diese Jahreszeit. Sanne lief nervös auf und ab und kaute unbewusst an ihren Fingernägeln. Immer wieder vergewisserte sie sich, dass keine neuen Nachrichten auf ihrem Handy eingegangen waren, dass ihr kein Anruf entgangen war. Sie kannte den Chef von Lisbeth lediglich aus ihren Erzählungen und von dem einen Mal, bei dem sie einander kurz vorgestellt worden waren. Im Großen und Ganzen harmonierten die beiden als Team, und ihre beste Freundin schilderte ihn als besonnenen Typen, der überlegt handelte. Unausgesprochene Besorgnis in seiner Stimmte hatte sie alarmiert.
Die Bremsen quietschten laut , als sein Audi vor Lisbeths Haus zum Stehen kam. Er stieg aus und begrüßte Susanne Klein.
» Noch immer keine Nachricht von Lissi?« Sanne schüttelte ihren Kopf und kräuselte die Stirn.
» Ich verstehe das nicht, wo kann sie denn sein? Wir waren fest verabredet.«
» Lisbeth erzählte, dass du sie besuchen würdest und verließ so gegen 19.00 Uhr das Büro. Wann wart ihr denn verabredet?«
» Ich hatte ihr gesagt, dass ich frühestens um 20.00 Uhr da bin. Die A 1 war voller, als ich gedacht hatte. So gegen 20.20 Uhr hatte ich es dann geschafft.«
» Gib mir doch bitte den Autoschlüssel und das Handy von Lissi.« Sie holte die Gegenstände aus ihrem Mantel. Paul wickelte beide in zwei unterschiedliche Stofftaschentücher, nachdem er sich vergewissert hatte,
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