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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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habe ihn hier ganz bestimmt nicht gesehen… ich meine, Himmel, ein solches Gesicht vergißt man doch nicht, das ist ja schrecklich… Sie werden es doch nicht den Kindern zeigen wollen? Das sollten Sie nicht tun. Außerdem sind sie viel zu jung, um zuverlässige Angaben zu machen, es lohnt sich also nicht, ihnen einen Schrecken einzujagen – oder den Eltern. Wenn die davon hören, werden sie ihre Kinder nicht mehr herschicken! Also, ich glaube wirklich…«
    »Nein, nein, wie Sie schon sagen, sie sind viel zu jung. Keine Angst. Vielleicht die älteren Studenten, die ich hier gesehen habe?«
    »Ja. Am besten, Sie gehen nach nebenan. Meine Schwester unterrichtet den Fortgeschrittenenkurs. Die sind achtzehn und neunzehn Jahre alt, von daher also keine Bedenken. Aber… entschuldigen Sie meine Frage: Wenn er Selbstmord begangen hat, warum…«
    »Es ist ein bißchen kompliziert. Machen Sie sich keine Gedanken!«
    »Na, wenn Sie meinen, aber bei der Vorstellung, daß sich hier so ein Typ herumtreibt, ist mir nicht besonders wohl… Nein, Sie brauchen nicht den vorderen Ausgang zu nehmen. Sie können die Verbindungstür benutzen!«
    Sie zeigte sie ihm und klatschte dann in die Hände.
    »Kinder, grand plié!«
    Der Wachtmeister tappte auf Zehenspitzen quer durch den großen Saal, während die kleinen Persönchen knicksten und sich wieder streckten und dabei einen Ernst an den Tag legten, der sich mit dem seinen messen konnte. Seine Bemühungen, unauffällig den Raum zu verlassen, endeten damit, daß er mit seinem großen Fuß gegen ein Tablett an der Tür stieß und alles, was darauf stand, umwarf. Schallendes Kinderlachen übertönte die Musik. Der Wachtmeister griff nach der Tür und drängte sich hindurch, hielt dann erschrocken den Atem an, denn eine männliche Gestalt flog in einem Riesensatz quer durch den Raum und landete mit einer eindrucksvollen Notbremse nur eine Handbreit vor ihm.
    »Bravo!«
    Beifall brach aus, der junge Tänzer grinste den Wachtmeister an, drehte sich dann um und verbeugte sich vor den anderen Studenten.
    »Verzeihen Sie, man hat mir gesagt, ich könnte… entschuldigen Sie bitte!«
    Dem Wachtmeister war die Situation peinlich, und er stand mit rot angelaufenem Gesicht in der Ecke neben der Tür und wagte nicht, die geringste Bewegung zu machen. Eine große, blaßgesichtige Frau in Schwarz eilte auf ihn zu. Sie trug einen langen, weißen Rohrstock in der Hand, und der Wachtmeister registrierte mit Erleichterung, daß sie, obwohl streng, einen amüsierten Gesichtsausdruck hatte. Mit großen, schwarzen Augen lachte sie ihn an.
    »Hinter dem Klavier sind Sie sicherer.«
    Sie deutete mit dem Stöckchen und erhobenem linken Arm. Der Wachtmeister folgte.
    »Zwei Minuten!«
    Die Tänzer, die mehrere Schichten wilder und komplizierter Sachen trugen, ließen sich in den verrücktesten Haltungen zu Boden fallen.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    Der abgelenkte Wachtmeister nahm Haltung an und präsentierte seine Fotografie. Nichts. Niemand erkannte das Gesicht, und als er den Raum verließ, hörte er einen der Jugendlichen sagen: »Die werden nach ihrer Verhaftung zusammengeschlagen, deshalb sehen sie so schlimm aus.«
    Verärgert über seinen Mißerfolg und die letzte Bemerkung, stand der Wachtmeister wieder unten im Hof, bevor ihm einfiel, daß er die Treppe hätte hinauf- und nicht hinuntergehen sollen. Er war sich nicht sicher, ob das bloß ein Versehen war oder seine Abneigung vor weiteren Befragungen. Er hatte wirklich keine Lust, daran konnte gar kein Zweifel bestehen. Für den Rest seines Lebens hätte er sehr gut auf jede Begegnung mit irgendeinem Menschen namens Ulderighi verzichten können. Außerdem war er es nicht gewohnt, wie ein Diener gerufen zu werden. Er stand einen Moment im Schatten des Innenhofs und versuchte, seine Nerven zu beruhigen.
    Sie geben sehr langsam, und manchmal bleiben Sie einen Moment stehen, als würden Sie mit sich selber sprechen. Dann gehen Sie weiter. Sie wirken oft so bedrückt. Nun, er war durchaus bedrückt, nicht zuletzt wegen der Vorstellung, daß er in diesen Gemäuern ständig beobachtet wurde. Bedrückt auch von einem Gefühl der Angst, das er nicht mehr losgeworden war, seit er diesen Hof zum ersten Mal betreten hatte. Er sah hinauf zu Neris Turm. Er konnte nichts erkennen, aber das hieß nicht, daß er nicht beobachtet wurde. Er ging zum Brunnen und wieder zurück, versuchte, vernünftig mit sich zu reden. Ein so altes Haus – und dann diese

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