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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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melden? Niemand hat mich gefragt. Ich wußte nicht einmal, daß Sie Erkundigungen einziehen. Routinesache, würde ich sagen.
    Und noch bevor er diese Leute in den oberen Stockwerken der umliegenden Häuser besucht hatte, war der Wachtmeister hinter Grillo den Turm hochgestiegen und hatte hinuntergesehen. Die Steine, an denen er sich festhielt, waren sauber, aber an die getrocknete Blutspur weiter unten reichte er nicht heran. Für den Wachtmeister konnte kein Zweifel bestehen, daß Corsi sich am Ende hinunterstürzen wollte, es aber nicht geschafft hatte.
    Und auf dem Rückweg, die enge Wendeltreppe hinunter, hatte der Zwerg pausenlos geplappert.
    »Kennen Sie den? Ein Mann stürzt sich vom Turm. Auf halbem Weg überlegt er es sich anders. Er schreit: › Zu Hilfe, heiliger Antonius, zu Hilfe!‹ Eine große Hand fährt aus dem Himmel und packt ihn. Dann sagt eine Stimme: › Übrigens, welchen heiligen Antonius meinst du eigentlich?‹ Sie wissen ja, wie viele Antoniusse es in Italien gibt, also sucht er in seinem Gedächtnis herum und ruft schließlich: ›Den heiligen Antonius von Paduaaaaaaaaah!‹ Im Hof war diesmal keine Musik zu hören gewesen. Irgendwo in der Ferne verkündete leiser werdendes Getrommel den Rückzug des Festumzugs nach dem Fußballspiel. Die hohen Flügeltüren öffneten sich einen Spalt und fielen wieder ins Schloß, als der Wachtmeister sich dem inneren Tor näherte. Das letzte, was er beim Hinausgehen sah, war Leo, groß, stiernackig, in lila und weißer Hose, an seinem zerkratzten und blutenden Oberkörper die zerrissenen Überreste eines weißen T-Shirts.
    »Jedenfalls schrie Neri in diesem Moment schon nicht mehr.«
    »War das nicht schon früher? Ich meine, hat er nicht angefangen zu schreien, als dieser junge Engländer den Böllerschuß abfeuerte?«
    »Vielleicht schreit er ständig.«
    Der Wachtmeister dachte schweigend nach. Dann sagte er: »Es muß ziemlich oft passieren, denn alle wußten, was zu tun war. Die Marchesa erschien aus heiterem Himmel, was zu erwarten war, aber auch der Zwerg. Beide waren nicht überrascht, und er bekam eine Spritze – intramuskulär, was überall zu Hause gemacht wird, aber es war der Zwerg, der es tun mußte. Ich glaube, daß er die Nähe seiner Mutter nicht erträgt. Als ich bei ihm war, hat er es immer vermieden, direkt von ihr zu sprechen.«
    »Er gibt ihr wohl auch die Schuld an dem, was passiert ist.« Lorenzini war noch immer enttäuscht, daß sich nach der Aufregung um Mückes Fingerabdrücke die ganze Sache als Selbstmord herausstellte.
    »Vielleicht hast du recht«, sagte der Wachtmeister, aber er klang nicht besonders überzeugt. Dann hatte man Ärzte gerufen, und die Marchesa war mit dem Wachtmeister in ihren privaten Salon gegangen. Dort hatte er verlegen in einem tiefen Samtsessel gesessen, vor sich das Doppelporträt von Lucrezia und Francesco. Er überlegte sich, wo Fidos Porträt von Bianca Ulderighi war, fragte aber nicht. Er stellte überhaupt keine Fragen, saß nur da, die Uniformmütze auf den Knien, und guckte mit ausdruckslosen Glupschaugen. Eher beobachtend als zuhörend. Er hatte inzwischen etwas weniger Angst vor der Marchesa, auch wenn ihre Schönheit ihn noch immer irritierte. Eine so feine und anmutige Frau mit so leuchtenden Augen müßte eine entsprechende Seele haben. Es war so verwirrend. Der Wachtmeister wußte im Grunde seines Herzens, daß diese Frau wahrscheinlich rücksichtslos und gewiß unmoralisch war, doch dem widersprach die Botschaft, die seine Sinne empfingen, genauso, wie Neris degenerierter Körper die Empfindsamkeit seines Denkens und seines Herzens verborgen hatte. Galt das nur für diese Generation, oder hatten Schönheit und Tugend schon vor Jahrhunderten angefangen, getrennte Wege zu gehen?
    In den Gesichtern, die ihn aus beiden Gemälden ansahen, war mehr Leben und Ausdruck als in seinem eigenen. Francesco, in seinem Hochzeitsstaat, weiß bestickt mit Goldblumen, auf seinem Kopf ein Kranz aus frischen Blumen. Vielleicht war er der letzte Ulderighi, dessen Seele im Einklang mit seiner Schönheit stand, aber er hatte den Tod gefunden, als er von seinem Pferd gegen das große steinerne Portal geworfen wurde. Lucrezia sah den Wachtmeister mit dem gleichen Gesicht an, das auf dem Fresko von ihrem Rosenkranz aufgeblickt hatte. Das gleiche Gesicht, das sich ihm jetzt in einer Andeutung von Intimität zuneigte.
    »Sie werden verstehen, daß der natürliche Wunsch, Skandal und Schande im Hinblick auf

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