Tod im Staub
nur vom Glockenturm her sickerte etwas Licht herein. Tief besorgt rief ich flüsternd: »Thunderpeck?«
Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich, daß die Spitze des Turms nur mit Hilfe eines elektrisch betriebenen Fahrstuhls zu erreichen war, dessen Kabine jetzt unten war.
Ich rief wieder. Hatte ich von dort oben, wo Tageslicht schimmerte, ein leises Geräusch gehört? Immer noch besorgt, überlegte ich, ob ich noch länger warten sollte. Hier gab es kein Versteck, außer dem schmalen Spalt hinter dem Fahrstuhl. Ich ging hin, um mich genauer zu orientieren, und sah dort ein unförmiges Bündel liegen. Es war ein Mann, zusammengekrümmt und von einem arabischen Burnus zugedeckt. In mir stieg ein Gefühl der Übelkeit hoch, noch ehe ich ihn hervorgezogen und meinen alten Freund und Arzt erkannt hatte. Jemand hatte ihm die Kehle durchgeschnitten.
Als ich auf Thunderpecks von der Akne zerkratertes Gesicht hinunterblickte, befiel mich tiefe Trauer. Was hatte es ihm genützt, hier auf mich zu warten! Ich vermutete, daß auch er das Opfer des algerischen Meuchelmörders geworden war.
Die Stimme des Sängers schwang sich bis in die höchsten Höhen des Tempels empor. Es war ein Gesang voller Sehnsucht nach Frieden und dem Ende der Einsamkeit. Bei diesem Klang brach ich in Tränen aus. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und ergab mich meinem Kummer.
Aber selbst während ich weinte, wie ich es früher nie gekonnt hatte, während Thunderpecks Tod mir fast das Herz brach, blieb mein Verstand klar. Ich hatte ihm von meiner letzten Begegnung mit dem Phantom berichten und seine Meinung darüber hören wollen; jetzt würde er niemals wieder zu mir sagen: »Das war ein Symptom Ihrer Schizophrenie, aber jetzt ist das alles vorbei, und Sie können wieder in Frieden mit sich selbst leben.« Während ich weinte, schwor ich, daß ich es in Zukunft besser machen würde.
Ein Geräusch aus dem Fahrstuhlschacht brachte mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich wischte mir die Tränen ab, stolz darauf, daß ich fähig gewesen war zu weinen. Wenn Thunderpecks Mörder noch hier war, sollte er den Lohn für seine Schandtat haben! Ich blickte den Schacht hinauf, und da klang mein eigener Name hohl und seltsam verzerrt an mein Ohr: »Knowle!«
Justine war dort oben!
Einen Herzschlag lang dachte ich, daß sie es gewesen sein könnte, die ... Aber nein, alles deutete darauf hin, daß der Doktor, dessen Körper schon erstarrt war, dem Angreifer einen Kampf geliefert hatte; also konnte dieses Verbrechen nicht von meiner schönen und schicksalhaften Justine verübt worden sein!
Ich kletterte in die winzige Kabine, in der höchstens zwei Personen Platz hatten. Fast lautlos schwebte ich empor. Wenn ich an einer der wenigen schmalen Fensterspalten vorbeikam, konnte ich das Tageslicht sehen und kleine Ausschnitte von Walvis Bay und dem Ozean und der wirren Welt, die unter mir lag. Dann war ich oben angekommen, und als ich die Fahrstuhltür öffnete, warf sich Justine in meine Arme.
Wieviel Freude hätte mir das zu jeder anderen Zeit gemacht! Ihr dunkles Haar lag an meiner Wange, ihr Körper preßte sich weich und warm an den meinen. Wie lange wir so verharrten, weiß ich nicht mehr, aber schließlich löste sie sich von mir und sah mich an.
»So hat Peter Sie doch geschickt!« rief sie aus. »Welch ein Glück, daß er überhaupt jemanden hergeschickt hat - mir wird hier oben nämlich schwindlig. Sie sind gerade noch rechtzeitig gekommen. Es ist jetzt viertel vor acht.«
»Rechtzeitig wofür?«
»Um acht Uhr werden die Sicherheitsbeamten den Platz des Präsidenten absperren, und dann dürfen nur noch geladene Gäste passieren.«
»Seit wann sind Sie schon hier, Justine?« Ich starrte sie unverwandt an und konnte mich an diesem blassen Gesicht nicht satt sehen, das eine so unerklärliche Macht über mich hatte.
»Ich kam kurz nach sechs hierher, als es noch dunkel war. Ich habe die halbe Nacht darauf gewartet, daß Peter mich anruft; als ich nichts von ihm hörte, wußte ich, daß ich selbst herkommen mußte, um unser Vorhaben auszuführen.«
»Justine, ich verstehe Sie nicht. Wovon reden Sie?«
»Aber, Knowle, was glauben Sie denn? Der Präsident trifft um zehn Uhr mit seinem Gefolge auf dem Platz ein. In dem Augenblick, in dem er sich erhebt, um seine Rede zu halten, erschießen wir ihn.«
Wir schickten den Fahrstuhl wieder hinunter. Dann folgte ich ihr über eine kurze Holztreppe zu einer Plattform
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