Tod im Tal der Heiden
keine Wunden zu sehen gewesen, als ihr ihn fandet?«
Der Krieger trat einen Schritt vor und neigte bejahend den Kopf.
»Aber seine Lippen waren vom Zahnfleisch zurückgezogen und das Gesicht gräßlich verzerrt?«
»So war es.«
»Und das Zahnfleisch war schwarzblau verfärbt?«
»Das habe ich nicht gesagt, aber es stimmt.«
»Damit haben wir also nun insgesamt sechsunddreißig Todesfälle in Gleann Geis«, faßte Fidelma zusammen. »Wahrlich ein verbotenes Tal. Es verbietet das Leben!«
»Dann bist du also darauf aus, dem Volk von Gleann Geis die Schuld dafür zu geben?« höhnte Laisre zornig. »Du willst deinen Bruder dazu bringen, daß er mein Volk bestraft, so wie du ihn überredet hast, gegen die Uí Fidgente vorzugehen.«
Fidelma lächelte den Fürsten bedeutungsvoll an.
»Es gibt wirklich jemanden, der das vorhat, Laisre«, sagte sie mit Betonung. »Aber du tust mir unrecht, wenn du behauptest,das wäre mein Plan. Ich will den Menschen von Gleann Geis nichts Böses tun. Mir geht es nur darum, diejenigen zu bestrafen, die für all die Morde verantwortlich sind.«
»Willst du damit andeuten, daß diejenigen sich hier im Ratssaal befinden?« fragte Murgal. »Daß die Schuldigen an allen sechsunddreißig Morden unter uns sind?«
»Das deute ich nicht nur an. Ich
sage
es.«
»Kannst du ihre Namen nennen?« fragte der Druide über das aufkommende Gemurmel hinweg
»Das kann ich«, antwortete sie ruhig. »Aber bevor ich es tue, möchte ich euch erklären, wie ich zu meinen Schlußfolgerungen gelangt bin.«
Die Spannung unter den Versammelten stieg spürbar an.
»Mein erster Fehler bestand darin, daß ich eine Gedankenlinie verfolgte, die mir einige Zeit den Blick auf die Wahrheit verstellte, weil ich nämlich annahm, daß der Mord an den dreiunddreißig jungen Männern am Eingang zu diesem Tal mit dem Mord an Bruder Solin in Verbindung stände.«
Colla holte tief Luft.
»Soll das heißen, sie hängen nicht zusammen?« fragte er überrascht.
»Nein, das tun sie nicht«, bestätigte Fidelma. »Um genau zu sein, es gibt eine Verbindung, aber nicht die, die ich vermutete. Daraus folgt übrigens, daß die Morde an Bruder Dianach und an Artgal zwar mit Bruder Solins Tod zu tun haben, aber nicht mit dem Ritualmord.«
»Wir warten immer noch auf deine sogenannte Wahrheit«, rief Laisre spöttisch durch den Aufruhr, den ihre Worte verursacht hatten.
»Die werdet ihr bald hören. Erst komme ich zu dem Ritualmord. Das war einfach ein plumpes und übles Mittel, einen Bürgerkrieg in Muman provozieren. Die Schuld daran gebe ich Mael Dúin, dem König der nördlichen Uí Néill in Ailech.«
Wieder unterbrach sie ein überraschtes Gemurmel.
»Ailech ist weit von hier«, erklärte Colla ungläubig. »Was für einen Nutzen brächte es Mael Dúin, wenn es Zwistigkeiten in Muman gäbe?«
»Anscheinend will Mael Dúin die Throne aller nördlichen Königreiche an sich bringen und sich dann als Großkönig auf dem Thron in Tara niederlassen. Er will über alle fünf Königreiche herrschen. Er weiß, daß nur ein Königreich genug Macht besitzt, um seine ehrgeizigen Pläne zu vereiteln.«
»Muman?« Murgal sprach die logische Folgerung aus.
»Genau. Die Eóghanacht von Cashel würden es ihm nicht erlauben, die Würde des Großkönigs an sich zu reißen, die eine Ehre darstellt, die verliehen wird, aber nicht eine Macht, die man ergreift.«
»Wie hängt das mit dem Mord an den jungen Männern zusammen?« Colla schien jetzt fasziniert von ihrer Darlegung und verfolgte sie aufmerksam.
»Als Gleann Geis darum bat, ein Vertreter Cashels, von der Kirche von Imleach, möge herkommen, angeblich, um über die Errichtung einer Kirche und einer Schule zu verhandeln, hatten die Feinde Mumans bereits eingeplant, daß ein einfacher Kleriker erscheinen, den Ritualmord erblicken und glauben würde, es handle sich um eine heidnische Zeremonie. Sofort würde man der heidnischen Gemeinschaft von Gleann Geis die Schuld daran zuschreiben. Kein Kleriker könnte eine solche Beleidigung seines Glaubenshinnehmen. Man ging davon aus, dieser Kleriker würde nach Cashel zurückeilen, und der König von Cashel und sein Bischof in Imleach würden einen heiligen Rachekrieg gegen Gleann Geis ausrufen. Sie würden versuchen, als gerechte Strafe das Volk von Gleann Geis auszutilgen.
Das wiederum würde die Nachbarn von Gleann Geis dazu veranlassen, sich zu erheben und ihre Verwandten in Gleann Geis gegen die Aggression von Cashel in Schutz zu
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