Tod im Tal der Heiden
Persönlichkeiten vorbehalten, entsprechend ihrem Rang. Die
dáilemain,
die Vorschneider und Verteiler, gingen die Tische entlang und boten jedem ein Stück an. Man faßte das Stück mit der linken Hand und schnitt es mit dem Messer in derrechten Hand ab. Jeder hatte darauf zu achten, daß er sich sein Stück an der richtigen Stelle abschnitt. Es war eine schwere Beleidigung, wenn man sich versehentlich an einem falschen Stück bediente. Bruder Dianach war jetzt ganz gesprächig geworden und erklärte Eadulf, es gebe sogar eine gesetzliche Strafe für den, der sich das
curath-mir
oder Heldenteil nahm, ein erlesenes Stück, das für den reserviert war, der nach allgemeiner Meinung von allen Gästen die tapferste und größte Tat vollbracht hatte.
Nach dem warmen Fleisch wurden Brot, Fisch und kaltes Fleisch aufgetragen, auch viele Schalen mit Obst, und dazu Krüge mit importiertem Wein und heimischem Met und Ale. Die Tatsache, daß Gleann Geis Wein einführte, wenn es auch nach Eadulfs Einschätzung kein besonders guter Wein war und er die Fahrt von Gallien nicht recht vertragen hatte, wies darauf hin, daß der Fürst auf eine gute Tafel Wert legte. Eadulf hatte zwei Tonbecher Wein genossen. Er merkte, daß er einen bitteren Nachgeschmack hinterließ, und ging lieber zum heimischen kräftigen Honigmet über.
Jeder Gast erhielt ein
lambrat,
ein Tuch, mit dem er sich nach dem Mahl die Hände säubern konnte.
Im Verlaufe des Mahls tat Eadulf sein Bestes, den jungen Kleriker über die Gründe seiner Reise mit Bruder Solin auszuhorchen. Doch mit einer Naivität, von der Eadulf nicht wußte, ob es nicht Verschmitztheit war, erkundigte sich der junge Mann ausführlich nach dem Leben in den angelsächsischen Königreichen, und als er erfuhr, daß Eadulf tatsächlich in Rom gewesen war, beantwortete er keine Frage, ehe ihm Eadulf nicht von der Stadt und ihren großen Kirchen berichtet hatte. So brachte Eadulf nur sehr wenig aus ihm heraus, und nach dem sauren Weingeschmack imMund trank er mehr Met, als ihm guttat. Der junge Kleriker hatte klugerweise mit einem Becher Ale begonnen, an dem er den ganzen Abend über nur nippte.
»Mein Vater war ein Krieger der Dál Fiatach im Königreich Ulaidh, bis er bei Magh Ráth seinen Arm verlor«, erklärte Bruder Dianach schließlich als Antwort auf Eadulfs hartnäckiges Fragen. Mit jedem Becher stellte Eadulf seine Fragen weniger schlau. »Doch das war lange vor meiner Geburt. Ich wurde nach Armagh auf die Klosterschule geschickt und dort zum Schreiber ausgebildet.«
»Aber wie kamst du hierher?«
»Mit Bruder Solin«, erwiderte der junge Mann unschuldig und brachte Eadulf fast zur Verzweiflung.
»Das weiß ich, doch warum wurdest du als Begleiter für Bruder Solin ausgewählt?«
»Vermutlich, weil ich ein guter Schreiber bin«, antwortete Bruder Dianach. »Auch, weil ich leistungsfähig bin. Es ist eine weite Reise von Armagh bis in dieses Königreich.«
»Wozu wurde Bruder Solin überhaupt hergeschickt?« wollte Eadulf wissen.
Der junge Mann seufzte, da Eadulf diese Frage ständig wiederholte.
»Das weiß nur Bruder Solin allein. Mein Vorgesetzter befahl mir, mich mit meinem Schreibzeug bei Bruder Solin zu melden und alles zu tun, was er mir aufträgt.«
»Sicherlich hat man dir doch mehr mitgeteilt?« vermutete Eadulf, dessen Ton durch den Alkohol forscher wurde.
»Nur, daß es eine weite Reise würde und ich mich darauf vorbereiten solle. Es hieß, ich würde ein gutes Werk für Gott und für Armagh tun.«
»Und Bruder Solin hat dir nichts über den Zweck derReise eröffnet? Nicht mal eine zufällige Bemerkung auf dem Wege gemacht?«
Bruder Dianach schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Aber du warst doch bestimmt neugierig?« Eadulf ließ so wenig davon ab wie ein Hund von einem Knochen.
»Warum interessierst du dich so sehr für Bruder Solins Auftrag?« fühlte sich der junge Mann schließlich gedrängt zu fragen. »Bruder Solin sagt, Neugier und Ehrgeiz seien die beiden Geißeln einer unruhigen Seele.«
Eadulf war verzweifelt, aber er merkte, daß er zu weit gegangen war.
»Doch wer nicht neugierig ist, bleibt der nicht ein Feind des Wissens? Wie kann man etwas lernen, wenn man nicht neugierig ist?« verteidigte er sich.
Mit Widerwillen betrachtete Bruder Dianach das gerötete Gesicht Eadulfs. Er sagte nichts mehr zu diesem Thema und wandte sich Mel zu, dem älteren Schreiber an seiner anderen Seite. Eadulf ignorierte er, und dieser kam sich plötzlich etwas
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