Tod im Tal der Heiden
Orla am Tor der Burg begrüßt hatte.
»Ich sah dich und den Bruder hier stehen, Schwester, und fragte mich, ob ihr etwas braucht?« sprach er sie an.
»Nein, wir genießen nur die Abendluft vor dem Fest«, erklärte Eadulf.
Fidelma musterte den Krieger interessiert. Er wirkte kräftig, das blonde Haar hatte die Farbe reifen Korns, und seine Augen waren hellblau. Er war Anfang dreißig. Sein altmodischer langer Schnurrbart, der neben dem Mund bis fast zum Kinn reichte, ließ ihn älter erscheinen. Er hielt sich sehr gut.
»Warum redest du mich mit ›Schwester‹ an?« fragte Fidelma plötzlich. »Wer nicht dem Glauben angehört, tut das gewöhnlich nicht.«
Der Krieger schaute ihr lange ins Gesicht, warf einen kurzen Blick auf Eadulf und senkte die Augen. Dann sah er sich auf dem Umgang um, als fürchte er Zeugen, schob die Hand unter das Hemd und holte einen Gegenstand an einer Lederschnur hervor. Es war ein kleines Kruzifix aus Bronze.
Fidelma betrachtete es nachdenklich.
»Du bist also Christ?«
Der Mann nickte rasch und verbarg das Kruzifix wieder unter dem Hemd.
»Es gibt mehr von uns hier, als der Druide Murgal zugeben möchte, Schwester«, antwortete er. »Meine Mutter kam her, um einen Mann aus Gleann Geis zu heiraten, undals ich geboren wurde, erzog sie mich heimlich im Glauben.«
»Als Laisre sagte, er brauche eine Kirche und eine Schule für die hiesige christliche Gemeinde, für die bereits im Glauben Aufgewachsenen«, meinte Eadulf, »da hat er also nicht gelogen?«
Der Blonde schüttelte den Kopf.
»Nein, Bruder. Unsere Gemeinde hat unseren Fürst und seinen Rat viele Jahre gedrängt, einen Priester für uns kommen zu lassen. Bis vor kurzem haben sie sich geweigert. Dann hörten wir zu unserer Freude, daß Laisre zu diesem Zweck in Imleach und Cashel angefragt habe.«
»Wie heißt du?« fragte Fidelma.
»Mein Name ist Rudgal, Schwester.«
»Und du bist Krieger, wie ich sehe.«
Rudgal lachte leise.
»Es gibt keine Berufskrieger hier in Gleann Geis. Ich bin Wagenbauer, aber ich folge Laisres Ruf, so oft er die Dienste von Kriegern braucht. Jeder Mann geht hier seiner Arbeit nach. Selbst Artgal, den Laisre als den Anführer seiner Leibwache betrachtet, ist gelernter Schmied.«
Fidelma erinnerte sich an das, was Orla ihr erzählt hatte. »Und warum gibst du dich uns zu erkennen, Rudgal?« fragte Eadulf.
Rudgal blickte rasch von einem zum anderen.
»Für den Fall, daß ich euch irgendwie zu Diensten sein kann. Laßt es mich wissen, wenn ihr etwas braucht, was ich euch besorgen kann.«
In der Nähe ertönte ein Hornstoß. Rudgal verzog das Gesicht.
»Ach, das Horn! Wir werden zum Fest gerufen.«
Eadulf stellte fest, daß sich Laisre, wie Fidelma vorausgesagt hatte, streng an die Tradition hielt. Alles war im großen Vorraum vor dem Ratssaal der Burg versammelt, den man in den Festsaal verwandelt hatte. Drei Mitglieder aus Laisres Hofhaltung gingen zuerst in die Halle: Murgal als sein Ratgeber, dann ein
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oder Hofmarschall, der die Rangfolge der Plätze zu regeln hatte, und der Hornist oder
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Nach dem nächsten Hornsignal marschierten Laisres Schildträger und andere Träger von Schilden oder Wappen von Laisres Kriegern hinein. Die Schilde wurden entsprechend dem Rang über den Stühlen aufgehängt.
Beim dritten Hornstoß wurden die Embleme der anderen Ränge hineingetragen und an den Plätzen aufgestellt, die für diese Gäste vorgesehen waren. Nach dem vierten Signal gingen alle Gäste gemütlich hinein, und jeder suchte sich den Platz, den ihm sein Zeichen anwies. Auf diese Weise wurde ungehöriges Streiten oder Gerangel um Plätze vermieden. Kein Mann und keine Frau saß einem oder einer anderen gegenüber, denn es wurde nur eine Seite der Tische besetzt. Dieses starre Festhalten an der Rangfolge war, wie Eadulf wußte, eine strenge Regel.
In der Halle waren große Holztische aufgestellt worden. Laisres Hofmarschall lief noch eifrig umher und vergewisserte sich, daß jeder den seinem Rang gemäßen Platz gefunden hatte. Es war schon vorgekommen, so hatte Eadulf gehört, daß über die Sitzordnung bei einem Fest ernsthafte Streitigkeiten ausgebrochen waren.
Am obersten Tisch saß Fidelma als Eóghanacht-Prinzessin neben Laisre. An ihrer anderen Seite hatte sie Colla, den Tanist, danach seine Frau Orla und ihre Tochter Esnad. Weitere Familienmitglieder des Fürsten folgten auf beidenSeiten. Die Krieger saßen an einem anderen Tisch, an wieder einem anderen die
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