Tod im Tal der Heiden
gegenübersetzte, hob er stöhnend den Kopf und sah sie schläfrig blinzelnd an.
»Gott verdamme alle Hähne!« knurrte er. »Ich war kaum eingeschlafen, als dieser verfluchte Hahn anfing zu krähen und meine Ruhe störte. Er hörte sich an wie ein Teufelschor aus der Unterwelt.«
Fidelma unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, daß er den größten Teil der Nacht in alkoholisiertem Tiefschlaf verbracht hatte. Mit gespielter Mißbilligung runzelte sie die Stirn.
»Es überrascht mich, daß du Gott bittest, ausgerechnet den Hahn zu verfluchen, der doch dem Glauben heilig ist.«
»Wieso das denn?« fragte Eadulf und rieb sich verschlafen die Stirn.
»Erinnerst du dich nicht an die Geschichte, wie nach derKreuzigung Jesu die römischen Soldaten einen Hahn kochten? Einer von ihnen erzählte den anderen, es gäbe ein Gerücht bei den Anhängern Christi, daß er am dritten Tage wieder lebendig würde. Ein anderer Soldat spottete darüber und meinte im Scherz, das würde ebensowenig geschehen, wie der tote Hahn krähen würde. Worauf sich der tote Vogel aus dem Kessel erhob, mit den Flügeln schlug und ausrief: ›Der Sohn der Jungfrau ist sicher‹!«
Trotz seiner Kopfschmerzen mußte Eadulf zugeben, daß die irischen Worte
mac na hóighe slán
gut zum Krähen eines Hahns paßten. Dann kam ihm eine dunkle Erinnerung.
»Eine ähnliche Geschichte habe ich in einem griechischen Evangelium gelesen, dem Evangelium des Nikodemus. Nur war es da die Frau des Judas Ischariot, die den Hahn kochte und den Verräter Christi beruhigen wollte. Der Vogel schlug mit den Flügeln und krähte dreimal, gab aber keine verständlichen Wörter von sich.«
Fidelma lachte belustigt.
»Du mußt unseren alten Barden schon die Freiheit lassen, die Geschichten so zu gestalten, daß sie unserem Volk etwas bedeuten.«
Eadulf spürte wieder seinen Kopf und stöhnte.
»Ich brauche keinen Hahn, der mich in meinem Glauben bestätigt. Dafür brauche ich einen Hahn, der still ist, wenn ich ruhen will, oder wie soll ich einen klaren Kopf bekommen, um meinem Glauben zu folgen?«
»Hahn hin oder her, ich meine, dein Mangel an Schlaf hat andere Ursachen. Kennst du nicht den Spruch, daß Wein am Abend Gold ist, am Morgen aber Blei?«
Eadulf wollte etwas erwidern, als Bruder Dianach, derjunge Schreiber, sich zu ihnen gesellte. Im stillen verwünschte Eadulf sein frisch gewaschenes, fröhliches Gesicht und seine überschwengliche Begrüßung Fidelmas, während er dem verkaterten Eadulf einen mißbilligenden Blick zuwarf. Seine frühere Schüchternheit schien völlig verflogen.
Nach der morgendlichen Begrüßung fragte Fidelma, wo sich denn sein Herr und Meister, Bruder Solin aus Armagh, derzeit aufhalte.
»Er war nicht in seinem Zimmer«, antwortete Bruder Dianach, »also nehme ich an, er ist schon aufgestanden und ausgegangen.«
Fidelma blickte Eadulf an, doch der angelsächsische Mönch war zu sehr mit seinem eigenen Jammer beschäftigt.
»Dann ist er aber wirklich früh auf den Beinen. Ist das so üblich bei ihm?«
Der junge Mönch bestätigte es mit einem gleichgültigen Nicken und schnupperte die Wohlgerüche aus der Küche.
Die rundliche Cruinn eilte herbei und brachte ein Tablett mit frisch gebackenem Brot, duftend und gerade aus dem Ofen, geronnener Sahne, Obst und kaltem Fleisch und dazu einen Krug Met. Danach bat die füllige Verwalterin um Erlaubnis, zu ihrem eigenen Haus zurückzukehren, denn, wie sie sagte, hatte sie ihrer Tochter versprochen, mit ihr Heilkräuter sammeln zu gehen. Fidelma übernahm es, sie mit Dank zu entlassen, und meinte, sie würden auch allein zurechtkommen. Als Cruinn ging, langte Eadulf sofort mit zitternder Hand nach dem Krug Met. Er lächelte schwach, als er Fidelmas warnenden Blick auffing.
»Similia similibus curantur
«
, murmelte er und goß sich einen Becher ein.
»Aber nein, Bruder«, wandte der junge Bruder Dianach vorwurfsvoll ein. »Gleiches wird nicht von Gleichem geheilt. Da bist du völlig im Irrtum.«
Der junge Mann sah so ernst aus, daß Eadulf den Becher noch einmal absetzte. Fidelma grinste schelmisch.
»Und welchen Rat würdest du geben, Bruder Dianach?« lockte sie ihn.
Der junge Mann schaute Fidelma an und überlegte sich den Fall gründlich.
» Contraria contrariis curantur
… Gegensätzliches wird durch Gegensätzliches geheilt. Diesen Grundsatz lehrt man in Armagh. Man bedenke, welche Wirkung es hat, wenn man das, was dieselbe Krankheit hervorruft, dem gibt, der sie schon hat. Es
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