Tod im Tal der Heiden
kam.«
Fidelma lehnte an den Zinnen und schaute hinaus in das abendliche Dunkel.
»Du bist Christ, Rudgal. Was hältst du von dieser Mordtat?«
Rudgal hüstelte nervös und sah sich um. Er senkte verschwörerisch die Stimme.
»Wie du sagst, Schwester, ich gehöre dem Glauben an. Das Leben war schwierig für diejenigen von uns, die in Gleann Geis diesen Weg gehen. Dann wurde es offenbar, daß wir zu einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung in diesem Tal geworden sind, und wir drängten den Fürsten und seine Versammlung, unsere Existenz anzuerkennen. Jahrelang wurden wir von ihm und seinem Rat abgewiesen. Dann schien ihm plötzlich eine Erleuchtung gekommen zu sein, denn er überstimmte seinen Rat und sandte eine Botschaft nach Cashel. Ich hätte nie gedacht, daß ich das nocherlebe. Es gibt aber nach wie vor viele hier, die den alten Bräuchen anhängen. Ich sage nur eins zu dieser Angelegenheit …« Er hielt inne. »Zu diesem Ritualmord, wie ihr es nennt. Es gibt viele Leute, die es gern sehen würden, wenn die Anhänger des Glaubens entmutigt werden und die alten Bräuche sich wieder durchsetzen.«
Fidelma versuchte, in der Dunkelheit in Rudgals Miene zu lesen.
»Meinst du, die Tat wurde begangen, um die christliche Gemeinschaft hier einzuschüchtern?«
»Wozu sonst? Sie dient keinem anderen Zweck.«
»Aber wer waren die Opfer? Laisre sagt, in Gleann Geis werde niemand vermißt.«
»Das stimmt. Wir würden es bald merken, wenn einer aus unserem Volk fehlte. Vielleicht waren die Opfer Reisende, die abgefangen und niedergemacht wurden? Wer hat sie umgebracht? Ich denke, die Antwort liegt nicht weit von dem Ort, von dem das Lachen herüberschallt.«
Gerade hatte sich in der Festhalle brüllendes Gelächter erhoben.
»Wen beschuldigst du? Laisre? Oder Murgal?« forschte Eadulf. »Oder gibt es noch jemand anderen?«
Rudgal sah Eadulf kurz an.
»Es steht mir nicht zu, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Frag dich nur selbst: Wessen Interessen dient diese Tat? Laisre war derjenige, der gegen den Willen seines Rats dem Glauben etwas Freiheit gewähren wollte. Bedenke, wer sich gegen Laisre stellt. Mehr kann ich nicht sagen. Gute Nacht.«
Rudgal verschwand in der Dunkelheit.
»Es liegt eine gewisse Logik in dem, was er sagt«, meinte Eadulf nach kurzem Schweigen.
» Cui bono?
›Wem nutzt das?‹ lautet eine alte Rechtsfrage. Cicero stellte sie einem Richter im alten Rom. Sie ist logisch, aber ist sie nicht zu logisch?«
Eadulf schüttelte verwirrt den Kopf.
»Das ist mir zu spitzfindig. Logik ist doch die Kunst, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen?«
»Aber die Logik kann oft auch die Wahrheit vor uns verbergen. Die Logik hemmt oft das Schöpferische des Verstandes, so daß wir einen geraden Weg entlanglaufen, während die Antworten auf unsere Fragen im Schatten der Waldlichtungen neben dem Weg liegen. Logik allein engt uns ein.«
»Denkst du, daß es noch eine andere Erklärung gibt?«
»Eins fällt mir auf: Wenn die Mordtat nur verübt wurde, um die Christen von Gleann Geis einzuschüchtern und niederzuhalten, warum hat man dann nicht ein paar Christen aus diesem Tal umgebracht? Warum vollzieht man das Ritual in dem Tal da draußen und benutzt die Leichen von Fremden? Warum verleiht man der Drohung nicht noch mehr Gewicht? Wie du siehst, hat die logische Deduktion ihre Schwächen.«
»Nun, dieselben Erkenntnisse immer wieder hin und her wenden, ohne etwas Neues hinzuzufügen, macht den Geist stumpf«, bemerkte Eadulf.
Fidelma lachte.
»Manchmal brauche ich deine Weisheit, Eadulf«, sagte sie. »Vollenden wir unseren Rundgang und gehen dann schlafen.«
Eadulf zögerte.
»Vielleicht will uns Rudgal auf eine falsche Fährte locken? Mit wem war er vorhin hier oben im Komplott?«
»Komplott ist kaum der richtige Ausdruck«, erwiderte Fidelma belustigt. »Selbst du mußt doch Orlas Tochter erkannt haben.«
Sie gingen rund um die Mauern und die Treppe wieder hinunter. Sie überquerten den Hof und lauschten den Geräuschen des Festes und der Musik, die aus der Festhalle drangen. Plötzlich trat Stille ein, und man hörte deutlich eine zornige Stimme und das Zuschlagen einer Tür. Fidelma zog Eadulf am Ärmel in den Schatten eines Gebäudes.
»Was ist?« flüsterte der Angelsachse verblüfft.
Fidelma schüttelte den Kopf und legte den Finger an die Lippen.
Auf der anderen Seite des Hofes öffnete sich die Tür des Gebäudes, in dem sich Murgals Wohnung und die Bibliothek befanden, und es war
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