Tod im Tal der Heiden
unverkennbar die untersetzte Gestalt Bruder Solins, die heraustrat und die Tür wieder zuschlug. Er hielt sich eine Wange, als schmerze sie ihn. Einen Moment blieb er im Lichtkreis der Öllampe über der Tür stehen, die sein zornerfülltes Gesicht beleuchtete. Er schaute sich um und prüfte, ob ihn jemand beobachtete. Seine Haltung verriet Anspannung und Ärger. Dann ordnete er seine Kleidung und fuhr sich durch sein zerzaustes Haar. Er reckte die Schultern und schritt zielbewußt über den Hof zur Festhalle.
Fidelma und Eadulf hatten sich tief in den Schatten gedrückt, so daß Bruder Solin sie nicht bemerkte. Sie warteten schweigend, bis er im Haus des Fürsten verschwunden war.
Eadulf schnitt eine Grimasse.
»Es war nur dieser eingebildete Trottel«, meinte er. »Vor dem hätten wir uns nicht zu verstecken brauchen.«
Fidelma seufzte leise.
»Manchmal erfährst du etwas, wenn jemand nicht ahnt, daß du da bist.«
»Nämlich?«
»Zum Beispiel stand Bruder Solin dort im Licht der Lampe. Was hast du bemerkt?«
»Daß er zornig war.«
»Stimmt. Was noch?«
Eadulf dachte einen Moment nach. »Sonst nichts, meine ich.«
»Ach, Eadulf! Ist dir nicht aufgefallen, daß anscheinend jemand Bruder Solin kräftig ins Gesicht geschlagen hatte? Hast du nicht den kleinen Blutfleck im Mundwinkel gesehen?«
Eadulf verneinte es.
»Und wenn das so ist, was sagt uns das?« wollte er wissen.
»Vorhin hatte Bruder Solin eine blutige Nase. Ich denke, jemand hatte ihn darauf geschlagen. Das sagt uns, daß jemand hier Bruder Solin aus Armagh nicht mag.«
Eadulf brach in ein spöttisches Gelächter aus.
»Das hätte ich dir auch so sagen können. Ich zum Beispiel mag ihn nicht.«
Fidelma schaute Eadulf belustigt an.
»Wohl wahr. Aber du bist nicht so weit gegangen, unseren frommen Kleriker tätlich anzugreifen. Zweimal hat er geblutet. Man hat ihm Wein ins Gesicht geschüttet. Schauen wir mal, ob wir den finden können, der das getan hat.«
Sie ging voran über den Hof zu der Tür, aus der Bruder Solin gekommen war. Sie wollte sie gerade öffnen, als sie aufflog und Orla heraustrat. Sie blieb verblüfft stehen.
»Was macht ihr denn hier?« fragte sie unfreundlich.
»Wir haben uns anscheinend verlaufen«, antwortete Fidelma gelassen. »Wohin führt diese Tür?«
Laisres Schwester sah sie finster an.
»Jedenfalls nicht ins Gästehaus, das ist sicher«, erwiderte sie. »Den Weg dahin konntet ihr kaum verfehlen. Man sieht es von hier.«
Fidelma wandte sich um und heuchelte Überraschung.
»Tatsächlich.« Unbeeindruckt fuhr sie fort: »Sag mal, hast du Bruder Solin gesehen? Ich möchte ihn sprechen.«
Orla warf verärgert den Kopf zurück.
»Ich habe ihn nicht gesehen. Ich will ihn auch nicht sehen. Ich habe dir schon heute nachmittag gesagt, daß mir dieses Schwein nicht zu nahe kommen soll. Wenn ihr mir jetzt Platz machen würdet …?«
»Wohnst du hier?« Mit dem vagen Gefühl, er müsse auch etwas sagen, versuchte Eadulf sie aufzuhalten.
Orla ignorierte seine Frage einfach.
»Ich habe zu tun, im Gegensatz zu euch«, sagte sie, drängte sich an ihnen vorbei und lief zur Festhalle.
Fidelma und Eadulf warteten, bis sie fort war.
»Sie muß Bruder Solin gesehen haben«, vermutete Eadulf. »Vielleicht.«
»Aber sie kamen doch beide aus dieser Tür.«
»Sicher, doch die Tür führt in ein großes Gebäude mit mehreren Wohnungen, darunter auch Murgals. Außerdem befindet sich hier auch die Apotheke.«
Sie traten durch die offene Tür und standen in einem schwach erleuchteten Flur, in dem eine Öllampe tanzende Schatten warf. Die Türen an der einen Seite führten vermutlich in Wohnungen. Fidelma schaute hinüber zu derTreppe, die sie am Nachmittag mit Laisre zur Bibliothek hinaufgestiegen war.
Sie wollte schon vorschlagen, umzukehren, als von dort Schritte zu hören waren. Laisre bog plötzlich um die Ecke. Als er sie erblickte, blieb er überrascht stehen.
»Sucht ihr mich?« begrüßte er sie. Er hatte sich schnell gefaßt. »Oder braucht ihr noch mehr Bücher?«
Fidelma ließ sich schnell etwas einfallen.
»Ich wollte Bruder Eadulf nur zeigen, wo sich die Bibliothek befindet, falls wir morgen noch etwas nachschlagen müssen.«
»Ach so.« Laisre zuckte die Achseln. »Morgen ist genug Zeit zum Arbeiten. Ihr solltet beim Fest sein. Ja, ich weiß«, fuhr er hastig fort, »du hast mir von deinem religiösen
geis
erzählt.«
»Ich dachte, du wärst auf dem Fest«, konterte Fidelma. »Ich höre die Musik, also
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