Tod im Tal der Heiden
winkte Murgal neben sich. Fidelma ließ er vor ihnen Platz nehmen. Rudgal stellte sich diskret hinter ihren Stuhl.
»Das ist eine sehr schlimme Geschichte, Fidelma«, murmelte Laisre verlegen. »Dabei wollten wir heute vormittag eine Vereinbarung abschließen.«
»Das ist mir völlig klar.« Fidelmas Ton war kühl. »Viel leicht ist das kein Zufall? Wir wurden schon einmal an einer solchen Besprechung gehindert.«
Bei diesen Worten sah sie Murgal direkt ins Gesicht. Seine Miene verriet Zorn, als er ihre Anspielung begriff.
»Mein Fürst«, sagte er barsch, »als dein Brehon sollte ich von jetzt an die Untersuchung in diesem Fall führen.«
Mit einer Geste gab Laisre zu verstehen, daß er das Murgal überließ. Der Brehon schenkte Fidelma ein fahles Lächeln.
»Im Augenblick steht es nicht gut um deine Sache, Fidelma. Was hast du zu dem zu sagen, was Artgal als dein Motiv angab?«
»Kein theologischer Streit ist es wert, mit einer Gewalttat entschieden zu werden«, erwiderte Fidelma.
»Dennoch ist es nicht unbekannt, daß es unter den Leuten deines Glaubens gewaltsame Auseinandersetzungenüber Dinge gibt, die für die meisten Menschen bedeutungslos sind. Wir wissen zum Beispiel, daß viele Kleriker in diesem Land die Autorität Roms bestreiten, und nun hören wir sogar, daß Imleach sich nicht der Autorität von Armagh beugt. Ihr verehrt doch sicher alle denselben Gott?«
Fidelma lächelte dünn.
»Selbst darüber läßt sich streiten.«
»Bruder Solin war völlig davon überzeugt, daß er den wahren Weg zu eurem Gott vertritt und alle anderen in Unwissenheit leben. Ich nehme an, du hältst deinen Weg ebenfalls für den einzig richtigen?«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»So unbescheiden wäre ich nicht, Murgal. Es gibt viele Wege zu demselben Ziel. Absolut sicher sein können wir nur in Dingen, die wir nicht wirklich verstanden haben. Ein als sicher erklärter Weg durchs Leben ist das, was sich die meisten Menschen in dieser unklaren und unsicheren Welt wünschen. Aber Sicherheit ist oft eine Illusion. Wir sind geboren, um zu zweifeln. Wer nichts weiß, bezweifelt auch nichts.«
Murgals Miene drückte sein Erstaunen aus.
»Wenn ich bei dir nicht die Symbole des neuen Glaubens erblicken würde, Fidelma von Cashel, könnte ich schwören, du gehörtest zum alten Glauben. Vielleicht trägst du den falschen Mantel?«
»Mein Glaube ist die beste Rüstung, um durchs Leben zu gehen, aber er ist der schlechteste Mantel.«
Es trat Schweigen ein, währenddessen sie versuchten, die Bedeutung ihrer Worte zu ergründen. Es wurde von Stimmen draußen unterbrochen, und dann riß Artgal dieTür auf. Colla kam herein, einen Mantel umgeworfen, als sei er gerade aus dem Bett aufgestanden. Ihm folgte Orla, schlaftrunken und mit zerzausten Haaren. Fidelma war überrascht von Orlas unordentlicher Erscheinung, sie sah aus, als hätte man sie gerade aus einem tiefen Schlaf geweckt. Sie trug ebenfalls einen Mantel über ihrem Nachthemd.
»Was ist los?« wollte Colla wissen. »Wer verlangt unsere Anwesenheit mitten in der Nacht? Was ist geschehen? Im Hof stehen Leute in Gruppen herum und flüstern.«
Fidelma bemerkte, daß Artgal an der Tür zufrieden grinste.
»Hat Artgal euch nicht berichtet, was sich ereignet hat?« fragte Fidelma mißtrauisch.
Colla schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Er hat uns bloß geweckt und gesagt, Laisre möchte uns sofort im Ratssaal sehen.«
Murgal schaltete sich verärgert ein.
»Ich leite hier die Befragung«, verkündete er, »und zwar kraft meines Amtes als Brehon.« Er wandte sich an Orla. »Orla, warst du innerhalb der letzten Stunde im Pferdestall?«
Orlas verblüffte Miene konnte kaum geheuchelt sein. Fidelma bekam ein flaues Gefühl. Sollte sie sich getäuscht haben? Nein, sie war sich sicher.
»Soll das ein Scherz sein, Murgal? Wenn ja, dann ist es ein schlechter.«
»Ich scherze nicht. Wo hast du die vergangene Stunde verbracht?«
»An demselben Ort, zu dem ich nach dem Fest gestern abend zurückgekehrt bin«, antwortete Orla verwirrt. »ImBett meines Ehemanns. Wir haben uns nicht gerührt, bis Artgal an unsere Tür klopfte.«
Die Frau des Tanist wirkte sehr überzeugend.
»Und Colla wird das zweifellos bestätigen?« Murgal lächelte grimmig.
»Natürlich tue ich das«, fauchte Colla gereizt. »Wir haben uns in den letzten paar Stunden nicht von der Stelle bewegt. Was soll das hier heißen?«
»Ich kann deinen Ärger verstehen, Colla«, erwiderte Murgal. »Aber es
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