Tod im Tower: John Mackenzies erster Fall (German Edition)
auch bei der Neujahrsparade in London in einem alten Bus mitfahren. Und wie immer werden wir dann unsere Vereinskleidung, lila Gewänder und rote Hüte, tragen.“
Vor Johns innerem Auge formte sich ein Bild seiner Mutter, deren Kleidung, so lange er denken konnte, hauptsächlich aus robusten Tweedkostümen in gedeckten Farben und strapazierfähigen Schuhen bestanden hatte. Und nun wollte sie sich auf einmal in ein lila Gewand hüllen! Mit einem roten Hut! Alarmiert fragte er, „Geht’s dir gut, Mum? Das klingt doch recht … ungewöhnlich.“
Emmeline lachte herzhaft. „Keine Sorge, John. Ich möchte nur meinen Horizont etwas erweitern, das ist alles. Du musst nicht gleich denken, dass ich als nächstes den Hells Angels beitrete. Was ist nun mit der Führung?“
„Natürlich können wir das machen, Mum. Ich werde dich und deine neuen Freundinnen persönlich herumführen. Sag´ mir einfach, wann ihr kommen wollt.“
Als er das Gespräch beendet hatte, nicht ohne noch einmal zu versprechen, dass er die Weihnachtstage in seinem Elternhaus verbringen würde, stützte er den Kopf erschöpft auf seinen Händen auf. Für heute konnte er keine weiteren Aufregungen vertragen. Er stellte das Geschirr in die Spüle, legte sich mit einem Buch auf das Sofa und schlief nach einer halben Seite prompt ein.
„John, darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ Die aufgeregte Stimme des Ravenmasters drang früh am nächsten Morgen aus dem Telefonhörer.
„Richard wollte mich heute Vormittag zu einem Augenarzttermin und danach zum Smithfield Market bringen. Nun hat er gerade angerufen, dass er kurzfristig doch keine Zeit hat. Würdest du…“
„Das ist doch selbstverständlich, George. Natürlich fahre ich dich. Wann treffen wir uns in der Garage?“ Den Beefeatern standen für ihre Autos Plätze in einer nahen Tiefgarage zur Verfügung. John selbst besaß keinen Wagen. Während der Jahre bei der Armee hatte er keinen benötigt und seit er wieder in England war, schob er einen Autokauf beharrlich vor sich her. Maggie, die eine Schwäche für importierte Sportwagen hatte, konnte dies überhaupt nicht verstehen.
„Es gibt doch nichts Schöneres, als mit offenem Verdeck, den Wind im Haar, über eine idyllische Landstraße zu kreuzen, John. Du solltest dich endlich nach einem schicken Wagen umsehen.“
Ihr Bruder, der das englische Wetter für wenig cabriotauglich hielt und der als Beifahrer seiner Schwester schon oft ein imaginäres Bremspedal betätigt hatte, blieb jedoch stur.
Der Ravenmaster hatte einen geräumigen alten Wagen, in dem er das Futter für die Raben transportierte. Seit Jahrhunderten wurden die Raben mit frischem Fleisch gefüttert, das im Smithfield Market gekauft wurde.
Auf der Fahrt zum Arzt saß der Ravenmaster ungewohnt still neben seinem Freund. John, dem nach all den Jahren, in denen er kaum selbst gefahren war, die Übung fehlte, war vollauf damit beschäftigt, das Auto heil durch den morgendlichen Großstadtverkehr zu steuern. Als sie die Praxis erreicht hatten, schnaufte er erleichtert auf.
Nach weniger als einer halben Stunde kam George Campbell wieder zum Auto zurückgetrottet, einen grimmigen Ausdruck im Gesicht. John musterte ihn besorgt.
„Stimmt was nicht, George?“ George wandte sich ihm mit von der Untersuchung noch geweiteten Pupillen zu und verzog den Mund zu einem gezwungenen Lächeln.
„Nein, nein. Heute war ein reiner Routinetermin. Ich lasse meine Augen jedes Jahr von Dr. Arkwright durchchecken. Es ist alles in Ordnung. Und jetzt fahren wir zum Markt.“ John sah seinen alten Freund forschend an. Der aber starrte mit eigensinnigem Gesichtsausdruck nach vorne. Schweigend ließ John den Motor an.
Nachdem sie das Auto mit ihren Markteinkäufen vollgepackt hatten, begann Campbell unvermittelt, „Die BBC hat Richard um ein Interview gebeten. Deshalb hatte er heute Vormittag keine Zeit. Ich hoffe wirklich, diese Sache im Tower wird seinen Wahlkampf nicht überschatten.“ John schloss die Kofferraumtür und lehnte sich gegen den Wagen.
„Du machst dir Sorgen um Richard…“ Er ließ den Satz in der Luft hängen. George sah ihn zum ersten Mal an und John war erschrocken, wie viel Verzweiflung in seinem Gesicht lag.
„John, du kennst doch unsere Presse. Für die ist dieser Mord ein gefundenes Fressen. Und Richard war nur einen Steinwurf vom Tatort entfernt. Wer weiß, was diese Sensationsreporter ihm da noch alles andichten werden, sobald das durchsickert.“
John
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