Tod im Tower: John Mackenzies erster Fall (German Edition)
hatte gerade die Halbzeitpause begonnen. Da gehen viele vor die Tür, um zu rauchen. Falls jemand zur zweiten Halbzeit nicht zurückkam, oder später für ein paar Minuten hinausgegangen ist, wäre das wohl kaum jemandem aufgefallen, vor allem da das Spiel beim Stand von Vier zu Eins ohnehin schon entschieden war.“
Die beiden Männer sahen sich enttäuscht an.
„Nun gut, hier kommen wir momentan nicht weiter.“, stellte John schließlich fest. „Sehen wir uns die anderen an. Da wären noch die drei Frauen, die nicht bei der Handarbeitsgruppe waren.“
„Mrs. Burns und Mrs. Armstrong können wir vergessen. Beiden geht es gar nicht gut, sie könnten in ihrem gesundheitlichen Zustand mit Sicherheit keine junge Frau erwürgen. Marcia Campbell…“
Er verstummte. Gespannt wartete John darauf, dass Mullins weitersprach. „Was ich Ihnen jetzt sage, bleibt aber unter uns, Mackenzie.“ John lächelte den Kommandanten milde an.
„Sir, in meinem Beruf wird einem Verschwiegenheit zur zweiten Natur.“
„Ach ja, natürlich. Ihr Seelenklempner seid ja wie Ärzte.“ Dann erhellte sich Mullins´ Gesicht. „Was ich Ihnen erzählen will, fällt sowieso in Ihr Fachgebiet. Also, Marcia…“ Der Chief stand auf, ging zum Fenster und starrte in den Hof hinaus.
„Als die Campbells vor gut zwanzig Jahren hierher kamen – damals war ich selbst noch nicht hier – war Richard gerade ein Teenager. Er war ein schwieriges Kind, eigensinnig und wild. Er hat grundsätzlich nur das getan, was ihm Spaß machte. Regeln waren für ihn da, um gebrochen zu werden. Auch hier hat er sich einige grobe Schnitzer geleistet. George war es immer unsagbar peinlich, wenn der Junge wieder unangenehm auffiel. Marcia aber stärkte Richard immer den Rücken und verteidigte ihn vehement. Er war – und ist – ihr Goldstück, sie hat seine Fehler und Schwächen noch nie erkennen wollen. Auch wenn er Schäden anrichtete, bezahlte sie immer klaglos alles. So bekam der Junge kaum einmal die Konsequenzen seines Tuns zu spüren.“
Mullins drehte sich wieder um und lehnte sich an die Fensterbank.
„Irgendwann wurde klar, dass Richard die Schule auf diese Art und Weise nicht schaffen würde, da ihm alles andere wichtiger war als das Lernen. Da ließ sich Marcia endlich vom damaligen Kommandanten und von George davon überzeugen, ihn in ein Internat zu stecken, das für seine Strenge berühmt ist. Obwohl der Anfang natürlich schwierig war, war diese Entscheidung für den Jungen ein Gottesgeschenk. Nur die Erziehung dort hat ihm ermöglicht, sich zu dem Mann zu entwickeln, der er jetzt ist.“
Nun umspielte ein amüsiertes Lächeln sein Gesicht.
„Als Politiker vertritt Richard ja erzkonservative Werte und er ist ein ausgeprägter Law and Order-Typ. Manchmal frage ich mich, ob er sich wirklich so grundlegend geändert hat im Vergleich zu seinen jungen Jahren oder ob er nur einfach die Parolen von sich gibt, von denen er sich den größten Anklang bei den Wählern erhofft.“
John nickte.
„Na, wie dem auch sei. Ich wollte Ihnen ja eigentlich von Marcia erzählen. Als Richard ins Internat kam, war es, als hätte man ihr ihren ganzen Lebensinhalt weggenommen. George hat mir erzählt, dass sie viel weinte und ihm auch immer wieder Vorwürfe machte, er hätte ihr ihren Sohn weggenommen. Dabei war sie ja einverstanden gewesen, dass Richard ins Internat geschickt wurde. In den folgenden Monaten wurde sie immer gleichgültiger gegenüber ihrem Alltag und auch gegen George. Schließlich hatte sie nicht einmal mehr die Kraft, morgens aufzustehen und blieb den ganzen Tag im Bett. Für George war diese Zeit die Hölle.“
John lehnte sich nach vorn.
„Konnte niemand sie dazu bewegen, zu ihrem Arzt zu gehen? Sie brauchte doch dringend Hilfe in diesem Zustand.“
„Sie hat sich immer geweigert. Aber eines Tages fand George eine große Menge Schlaftabletten im Badschrank und er bekam große Angst, dass sie sich etwas antun könnte. Noch am selben Tag brachte er sie ins St. Bartholomew´s Krankenhaus.“
„Wurde die Diagnose einer Depression gestellt?“
Mullins nickte.
„Sie haben recht. Sie bekam Tabletten und war auch einige Monate lang regelmäßig bei einem Therapeuten. Seither hatte sie gelegentlich schlechte Phasen, aber nie mehr in dem Ausmaß wie damals.“
Mullins setzte sich wieder in seinen Stuhl und sah John eindringlich an.
„Auch wenn Ihnen das vielleicht merkwürdig erscheinen mag: Marcia schämt sich bis heute für ihre
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