Tod im Tower: John Mackenzies erster Fall (German Edition)
daheimgeblieben, dann wäre sie jetzt noch am Leben…“ John wartete, bis ihre neuerlichen Tränen versiegt waren.
„Sie hat Wirtschaft studiert, habe ich gehört.“
„Mhm. In gut einem Jahr hätte sie ihr Studium abgeschlossen. Sie hatte ihre Zwischenprüfungen so gut bestanden, dass sie ein Stipendium bekommen hat, um für ein Jahr ins Ausland zu gehen. Ansonsten hätten wir uns das gar nicht leisten können. Die ersten Monate hier hat sie uns regelmäßig geschrieben, aber in den letzten Wochen haben wir kaum noch etwas von ihr gehört. Wenn sie doch einmal angerufen hat, hat sie sich oft müde angehört. Es wäre so viel zu tun, sagte sie, dass sie kaum zum Schlafen käme. Aber sie hatte sich ganz fest vorgenommen, den bestmöglichen Abschluss zu machen und sie war bereit, hart dafür zu arbeiten.“ Stumm bekräftigte Mr. Feldmann die Worte seiner Frau mit einem heftigen Nicken und schnobte dann kräftig in ein Taschentuch. In der folgenden Stille klang das Klingeln des Telefons überlaut. John entschuldigte sich für einen Moment und hob ab.
„Mackenzie? Jemand von Scotland Yard will dich sprechen, bleib einen Moment dran.“ Frank Abbott, der heute am Eingang im Byward Tower Dienst tat, reichte den Hörer weiter.
„Hier Constable Hewitt, Sir. Superintendent Whittington lässt anfragen, wann Mr. und Mrs. Feldmann bereit sind für die Vernehmung im Yard. Wir haben eine Limousine hier, um sie hinzubringen.“ Als John die Frage an das Ehepaar weitergab, kehrte der verschreckte Ausdruck in das Gesicht von Mrs. Feldmann zurück.
„Oh, die Polizei, natürlich. Oh je. Wir hatten noch nie in unserem Leben etwas mit der Polizei zu tun.“
„Aber Maria, die Herren wollen uns nur ein paar Fragen zu Julia stellen, das haben sie uns doch heute Morgen am Flughafen schon erklärt.“ Julias Vater wandte sich an John. „Richten Sie bitte aus, wir sind gleich da.“ Seine Frau griff sichtlich nervös nach ihrer Handtasche und erhob sich unbeholfen. Dann sah sie John plötzlich mit einem hoffnungsvollen Ausdruck im Gesicht an.
„Herr… Mackenzie, könnten Sie uns vielleicht begleiten? Sie könnten für uns übersetzen.“
„Sehr gern, Frau Feldmann, aber die Kriminalpolizei hält mit Sicherheit einen Dolmetscher für Sie bereit. Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.“
„Ich hätte aber lieber Sie dabei. Sie waren so nett zu uns, Ihnen vertraue ich.“
Eine halbe Stunde und einige Telefongespräche später saß John zusammen mit dem Ehepaar im Fond eines geräumigen Wagens mit abgedunkelten Scheiben. Ein größeres Aufgebot an Beamten der Metropolitan Police hatte sie im Laufschritt vom Tower bis zum Wagen eskortiert und sie so gut es ging vor den wartenden Presseleuten abgeschirmt.
In der nüchternen Eingangshalle des New Scotland Yard nahm der Superintendent sie persönlich in Empfang. Während er den Feldmanns die Hand schüttelte, hatte John die Gelegenheit, sich an einem widerwärtig aussehenden Pickel am Kinn seines Cousins zu erfreuen, der Whittingtons sonst so gepflegtes Erscheinungsbild beeinträchtigte.
Ich wette, der kommt von diesem grässlichen Schal, in den er sich bei der Schlüsselzeremonie gehüllt hat, fiel es ihm ein.
Whittington, der Johns belustigten Blick bemerkte, hob unwillkürlich die Hand an sein Kinn und wandte sich ihm mit säuerlichem Gesichtsausdruck zu.
„Welch außerordentliche Freude, dich hier zu sehen. Ich respektiere selbstverständlich den Wunsch dieser trauernden Eltern. Du wirst verstehen, dass unser eigener Dolmetscher dennoch bei der Vernehmung anwesend sein wird. Außerdem weise ich dich auf deine Schweigepflicht über alles, was du hier hörst, hin.“
John hielt seinem Blick stand, deutete auf den Pickel und erwiderte ungerührt, „Hast du es schon mit Zahnpasta versucht? In unserer fernen Jugendzeit hat das Wunder bewirkt gegen diese Dinger.“
Bei der folgenden Vernehmung erlebte John seinen Cousin zu seinem großen Erstaunen von einer völlig neuen Seite: Ernsthaft und ohne eine Spur seiner sonst üblichen Arroganz führte er die Befragung von Julias Eltern durch, zudem erwies er sich als guter Zuhörer. Wie ein Kaleidoskop entstand allmählich ein Bild der Persönlichkeit, die Julia Feldmann gewesen war.
Das ruhige und lernbegierige Mädchen, das am liebsten die Nase in ihre Bücher steckte, schien von Anfang an kaum in ihr ländlich geprägtes Umfeld gepasst zu haben. Ermutigt von einer verständnisvollen Lehrerin, hatte sie sich
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