Tod im Tower: John Mackenzies erster Fall (German Edition)
ein gekochtes und kleingeschnittenes Ei, dazu noch spezielles Trockenfutter. Nachdem John die Näpfe der Vögel geschrubbt, unter dem zunehmendem Gekrächze der hungrigen Raben für jeden das Fressen hergerichtet, Wasser hingestellt und schließlich die Voliere gesäubert hatte, ließ er sich erschöpft auf einen Hocker fallen.
Nach Sonnenuntergang würde er die Tiere wieder in die Voliere hereinholen müssen, wo sie nach der Abendfütterung die Nacht verbrachten. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich nun beeilen musste, um rechtzeitig die erste seiner heutigen Führungen zu beginnen.
Während des Tages fiel es John schwer, sich auf die Besucher des Towers und ihre Fragen zu konzentrieren. Während er in der Kapelle die Gräber der dort Bestatteten erläuterte, verlor er komplett den Faden, was ihm außerordentlich peinlich war. Er konnte dennoch nicht verhindern, dass seine Gedanken immer wieder zu George Campbell abschweiften.
Während er Besuchergruppen kreuz und quer durch den Tower führte, hielt er nach den Raben Ausschau, die tagsüber über das Gelände stolzierten.
Er hatte gerade eine Führung beendet, als Bonnie auf ihn zutrat.
„Oh, John, ist es nicht schrecklich? Ich verstehe nicht, wie die Polizei annehmen kann, unser Ravenmaster wäre ein Mörder.“
John nickte ernst. „Wie geht es Marcia?“
„Sie ist total zusammengebrochen. Erst tobte sie, schrie und schlug um sich. Sie hat mir richtig Angst gemacht. Dann, ganz plötzlich, ist sie in sich zusammengesunken. Sie saß nur noch ganz still da und starrte vor sich hin. Das war wirklich unheimlich. Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen, als den Arzt kommen zu lassen. Er hat ihr erst einmal ein Beruhigungsmittel gegeben und wir haben sie ins Bett gebracht. Später kommt er noch einmal. Er sagte, es wäre vielleicht besser, sie in eine Klinik zu bringen.“
„Ist jetzt jemand bei ihr?“
„Ja. Richard und sein Wahlkampfmanager sind da. Mr. Owen sagte, ich sollte mir etwas zu essen holen, sie hätten die Lage im Griff. Ich bin gerade auf dem Weg in die Cafeteria. Kommen Sie mit?“
John sah auf die Uhr. Er hatte zwanzig Minuten bis zur nächsten Führung. „Ja, gerne. Ein kleine Stärkung kommt jetzt wie gerufen.“ Kurze Zeit später saßen beide vor Tellern mit Eintopf.
„Ich finde es ein wenig merkwürdig, dass Richard in dieser … Krise … mit seinem Wahlkampfmanager hier auftaucht.“, meinte John nachdenklich. Bonnie verzog spöttisch das Gesicht.
„Pff, Wahlkampfmanager. Mir kommt er schon eher wie ein Babysitter vor. Genau so jemanden braucht Richard auch, denke ich. Ohne ihn wäre er in dieser Situation bestimmt hilflos. Außerdem habe ich den Verdacht…“
Bonnie verstummte und rührte geistesabwesend in ihrem Teller herum. John sah sie abwartend an.
„Naja, das hört sich jetzt wahrscheinlich boshaft an… Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Richard sich in erster Linie Sorgen um seinen Wahlerfolg macht. Als ob das Schlimmste an der Situation wäre, dass die Verhaftung seines Vaters ein schlechtes Licht auf ihn als aufstrebenden Politikstar werfen könnte.“ Bonnie schob ihren Teller von sich.
„Dieser Owen kündigte an, er müsste jetzt eine Reihe von Telefonaten mit unglaublich wichtigen Leuten führen – Schadensbegrenzung hat jetzt oberste Priorität, waren seine Worte.“, schloss sie, Verachtung in der Stimme, und stand dann auf.
Im Nachhinein wusste John nicht mehr, was er den Besuchern des Towers an diesem Nachmittag erzählt hatte. Nach Abschluss seiner letzten Führung eilte er schnurstracks zu Mullins´ Büro. Das Vorzimmer war leer. Durch die halb offene Tür konnte er den Chief am Fenster stehen sehen, wie er reglos in die hereinbrechende Dunkelheit starrte.
John klopfte leise an die Tür. Mullins drehte sich um.
„Kommen Sie rein.“ Schwer ließ er sich in seinen Sessel fallen und stützte den Kopf auf den Händen auf. John erschrak, wie ausgelaugt und mutlos sein sonst so energiegeladener Kommandant wirkte.
„Chief? Was ist los?“
Mullins schien nach Worten zu suchen. „Ich … weiß es nicht.“ Damit verfiel er wieder in Schweigen.
Johns Beunruhigung wuchs mit jedem Moment und er musste an sich halten, den Chief nicht bei den Schultern zu packen und zu schütteln.
„Sir – was ist im Yard passiert?“ Endlich schien Mullins sich aus seiner Erstarrung zu lösen. Er blickte John müde an.
„Mackenzie, leider sieht es so aus, als könnte unser Freund George doch
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