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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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fühlte sich, als sei ihm der Boden unter den
Füßen fortgezogen worden.
    Wusste er wirklich so wenig über seinen toten Freund? Was
konnte er glauben? Wer sprach die Wahrheit? Zutiefst verwirrt
eilte er durch die quirligen, lauten Straßen zurück in
die Sicherheit von Sankt Kolumba.

 
SIEBEN
     
     
    »Ich muss ein ernstes Wörtchen mit dir
reden!«
    Pastor Hülshout saß vor dem Tisch in seiner
Studierstube und sah Andreas mit strengem Blick an. »Du
vernachlässigst das Wichtigste, das es in deinem Leben gibt:
den Dienst an Gott.«
    Andreas sah zu Boden. Er musste sich eingestehen, dass
Hülshout Recht hatte. Am Mittag war er wieder zu spät
zur Messe erschienen. Die Gläubigen hatten gemurrt; und er
hatte das Gezischel im Rücken gespürt, als er am
Hochaltar zelebrierte. Er schluckte, doch dann versuchte er sich
zu verteidigen: »Ist der Dienst an den Menschen nicht
genauso wichtig?« Er wagte nicht aufzusehen.
    Zuerst kam keine Erwiderung. Nach einer Weile sagte
Hülshout leise: »Der Dienst an den lebenden Menschen
ist es sicherlich. Aber mir scheint, dass du im Augenblick eher
an den Toten interessiert bist. Was deinem Freund Leyendecker
widerfahren ist, ist schlimm, aber er hat es sich selbst
zuzuschreiben. Du hast mir übrigens noch nicht gesagt, was
du im erzbischöflichen Archiv herausgefunden
hast.«
    Nun traute sich der junge Kaplan doch wieder aufzuschauen. Der
Pastor sah ihn neugierig an, alle Wut war aus seinem Gesicht
verschwunden. Andreas war erstaunt über das Interesse des
älteren Geistlichen und berichtete bereitwillig vom
Teufelspakt, dem seltsamen Abschiedsbrief, dem zu kurzen Seil,
dem Zauberbuch und dem bankrotten Weinhändler. Hülshout
hörte schweigend zu, und als Andreas geendet hatte,
stützte er die Ellbogen auf dem Tisch ab und legte die
Finger zu einem Dach zusammen.
    »Sehr bemerkenswert, das Ganze«, sagte er.
»Ich gebe zu, dass es da ein paar Ungereimtheiten gibt.
Aber ich warne dich. Glaube nicht, dass die heilige Mutter Kirche
bei der Exkommunikation Ludwig Leyendeckers einen Fehler gemacht
hat. Du hast nichts als Mutmaßungen und das Wort seiner
Schwester.« Er bedachte Andreas mit einem durchdringenden
Blick. »Und auf deren Wort würde ich an deiner Stelle
nicht allzu viel geben.«
    »Warum nicht?«, fragte Andreas heftiger, als ihm
lieb war.
    Der alte Geistliche antwortete nicht, sondern wechselte das
Thema. Er sprach über die Bauarbeiten an der Kirche, die
bald wieder aufgenommen werden sollten, und über die
Pläne, das alte Pastoratsgebäude, in dem sie noch
wohnten, abzureißen und in die Brückenstraße
südlich der Kirche zu ziehen. Andreas versuchte, den Worten
Hülshouts zu folgen, doch es gelang ihm kaum. Warum sollte
er Elisabeth nicht glauben? Warum sollte er seinen Gefühlen
für den toten Ludwig nicht vertrauen?
    Als Hülshout zu Ende gesprochen hatte, entließ er
Andreas mit den Worten: »Lass die Toten ruhen. Und zerre
die Teufel nicht aus der Hölle.«
     
    Die Abendmesse war zugleich Trauermesse für eine alte
Witwe aus der Pfarrei. Danach holten Andreas, dem die Aufgabe der
Beerdigung zugefallen war, und die wenigen Verwandten und Freunde
der Frau diese aus der Drususgasse, wo sie in einem der dreizehn
schmalen, armseligen Häuschen wie in einer Honigwabe
aufgebahrt lag. Der Zug setzte sich in Richtung
Minoritenstraße in Bewegung. Andreas las laut aus den
Psalmen, doch in Gedanken war er woanders. Der Küster ging
vor ihm her und schwenkte das Weihrauchfass. Er bog in die
Bursgasse ein; der Weg war nur kurz. Die Tote wurde auf dem
kleinen Friedhof gegenüber dem Stallgebäude des
Pastorats beigesetzt. Der Küster öffnete mit einem
großen Schlüssel das schmiedeeiserne Gitter und
führte die Trauergemeinde an das bereits ausgehobene Grab.
Gemeinsam mit den vier Sargträgern – allesamt
ältere Männer, die sich trotz des kurzen Weges
schrecklich angestrengt hatten – ließ er die Kiste an
Seilen hinab in die Erde. Andreas segnete das Grab und sprach die
üblichen Gebete ohne große Anteilnahme. Hier war ein
alter Mensch nach einem vollendeten Leben in die Ewigkeit
heimgegangen, doch dort drüben, hinter ihm, im Schatten der
Kirche, lag jemand, dessen namenloses Grab nach Aufklärung
und Vergeltung schrie. Er drehte sich um.
    Und stutzte.
    In der letzten Reihe der Trauernden stand Elisabeth.
    Unwillkürlich legte er mehr Betonung in seine Worte und
sah immer wieder hinüber zur

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