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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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frisch
geknickt.
    Der Kaufmann drehte sich nach Andreas um, winkte ihm zu und
verschwand in der Hecke. Andreas schaute kurz hinter sich. Weit
und breit war niemand zu sehen. Von fern hörte er das Gebell
eines Hundes; ansonsten war alles still. Totenstill.
Plötzlich hatte er das Gefühl, nicht vor einem
Weingarten, sondern vor einem Leichenacker zu stehen. Befand sich
Johannes Dulcken wirklich irgendwo dort vor ihm? Oder hatte
Bonenberg ihn bloß hergelockt? Aber warum? Nein, er war
einfach zu argwöhnisch. Die Ereignisse der letzten Zeit
hatten ihn überempfindlich gemacht. Er trat einen Schritt
auf die Hecke zu und schob mit den Händen die dünnen
Äste auseinander.
    Was war, wenn Bonenberg und Dulcken unter einer Decke
steckten? Wenn sie beide hinter der Hecke auf ihn warteten?
    Andreas hielt mitten in der Bewegung inne. Sollte er nicht
besser von hier verschwinden? Aber möglicherweise war er der
Lösung des unheimlichen und schrecklichen Rätsels so
nahe wie nie zuvor. Beherzt drückte er sich durch die
Hecke.
    Niemand überfiel ihn auf der anderen Seite. »Wo
bleibt Ihr denn so lange?«, zischte Bonenberg ihn an.
»Ihr macht einen Lärm wie eine ganze Eselherde. Seid
leiser, damit Ihr Dulcken nicht in die Flucht schlagt.«
    Warum macht Ihr das?, wollte Andreas fragen. Warum helft Ihr
mir? Doch er schwieg und schlich hinter Bonenberg her, der
plötzlich das Licht in der Laterne löschte. Der
Kaufmann schlich gebückt zwischen den Reben hindurch. Er
wirkte wie ein Gespenst ohne Kopf. Fahles Mondlicht legte sich
auf die knorrigen, grotesk gekrümmten Stämme der Reben,
und die winzigen, dunklen Beeren waren kaum mehr als Knospen.
Plötzlich erstarrte Bonenberg. Andreas gefror in seinen
Bewegungen. Er hatte es deutlich gehört.
    In geringer Entfernung vor ihnen hatte etwas geraschelt. Es
hatte nicht wie die Bewegungen eines umherhastenden Menschen
geklungen; es waren feste, dumpfe Laute gewesen, die Andreas
nicht einordnen konnte. Kaum hatten er und der Kaufmann alle
Bewegungen eingestellt, brachen auch die Geräusche ab.
Bonenberg drehte sich langsam nach Andreas um und legte einen
Finger auf die Lippen. Dann schien sich in der Tat jemand vor
ihnen fortzustehlen. Bonenberg lief los. Andreas folgte ihm.
Etwas packte plötzlich seinen rechten Knöchel. Er
verlor das Gleichgewicht. Schlug hart zu Boden. Schmerzen
durchzuckten ihn. Er rang nach Luft. Versuchte, den Kopf
hochzuhalten. Sah Bonenbergs ungeschlachte Gestalt, schwarz im
heller werdenden Mondlicht. Schaute nach unten. Er war mit dem
Fuß in eine Ranke geraten.
    Erleichtert mühte er sich wieder auf und holte Bonenberg
ein. Der Kaufmann stand gekrümmt vor etwas Unförmigem,
das am Boden lag. Mit fahrigen Fingern entzündete er seine
Laterne und bückte sich. Andreas schaute ihm über die
Schulter.
    Die Feder am Barett des Kaufmanns nahm ihm zuerst die Sicht,
doch dann erkannte er ein Bein. Und ein zweites. Sie schienen
geradewegs in der Erde zu verschwinden. Andreas drückte
Bonenberg beiseite und begann, das lockere Erdreich auszuheben.
Der mit Amuletten übersäte Oberkörper kam zuerst
zum Vorschein, dann der Kopf.
    Es war Johannes Dulcken. Er hatte eine tiefe, noch immer
blutfeuchte Wunde an der Stirn, als habe er einen schweren Schlag
mit einem stumpfen Gegenstand erhalten. Er konnte noch nicht
lange tot sein. Sein Gesicht war eine einzige entsetzte Frage; er
schien nicht gewusst zu haben, warum er sterben musste.
»Der Mörder muss noch in der Nähe sein!«,
flüsterte Andreas aufgeregt. Bonenberg nickte und erhob
sich. Andreas sprang auf, riss dem verdutzten Bonenberg die
Laterne aus der Hand und rannte los. Er glaubte, von rechts etwas
gehört zu haben. Ja, da waren verhaltene Schritte. Andreas
kannte keine Angst mehr. Den schrecklichen Morden musste Einhalt
geboten werden, und schließlich war er nicht allein. Er
hörte, wie Bonenberg schnaufend hinter ihm herlief.
    Eine schwarze Gestalt huschte an den Reben entlang. Sie
verschwand hinter einer mannshohen Hecke, die diesen Weingarten
vom nächsten trennte. Andreas lief der Gestalt nach, die
etwas Hohes, Spitzes in der Hand trug. Der Abstand zu ihr wurde
immer kleiner. Schon erkannte Andreas Einzelheiten. Zum Beispiel
die Haube.
    Es war eine Frau.
    »Halt!«, rief er, doch die Gestalt blieb nicht
stehen. Bonenberg brach hinter ihm durch die Hecke und hatte
beinahe zu ihm aufgeschlossen. Andreas lief noch schneller. Er
streckte

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