Tod im Weinkontor
Sakristei und
Kirche.
Elisabeth gefiel der Vorschlag ihres Mannes nicht. Er schien
kein Interesse mehr an ihr und ihrer Bestrafung zu haben, sondern
all seine Gedanken auf die Ergreifung Dulckens zu richten. Warum
hatte er plötzlich seine Pläne geändert? Als sie
in der nachtschwarzen Gasse standen, warf sie Andreas einen
warnenden Blick zu, doch der junge Priester schien ihn nicht
einmal zu bemerken. Er verabschiedete sich von den beiden Frauen
und verschwand mit dem dicken Kaufmann in der Dunkelheit der
Gasse. Nur noch das Licht aus Heinrichs Laterne zuckte eine kurze
Weile über die Balken und vorkragenden Stockwerke der
Fachwerkhäuser. Elisabeth seufzte und sah Anne an. Dabei
bemerkte sie, dass ihre Freundin noch immer völlig
verängstigt zu sein schien. Sie hakten sich unter und
schritten gemeinsam vorsichtig zum Pastorat zurück. Einmal
trat Elisabeth in eine Pfütze und stieß einen
bösen Fluch aus. Anne hingegen sagte nichts. Als sie endlich
wieder in Andreas’ Zimmer im Pastoratsgebäude
saßen und durch die Butzenscheiben gedankenverloren hinaus
in die Nacht blickten, flüsterte Anne: »Ich kenne
ihn.«
»Wen kennst du?«, fragte Elisabeth verwirrt.
»Diesen Mann. Deinen Gemahl.«
»Woher?«
»Aus London. Er war unter den Männern im Waterstone
Inn.«
Elisabeth fühlte sich, als fasse ihr jemand in die Brust
und drücke ihr Herz zusammen.
SIEBENUNDZWANZIG
Andreas ging lange Zeit schweigend neben Heinrich Bonenberg
her. Der Kaufmann sah ihn bisweilen von der Seite an, und es
wirkte, als wolle er etwas Wichtiges sagen, doch er blieb stumm.
Das Licht seiner Laterne warf fließende Scharten auf die
Mauern der Häuser und Gärten. Die Giebel schienen sich
vorzubeugen und die kleinen Menschen unter sich argwöhnisch
zu beäugen. Sterne glommen hoch droben zwischen
Wolkenfetzen, die wie schwarze Löcher in das All gebrannt zu
sein schienen. Es war in dieser Nacht empfindlich kalt, fand
Andreas und wickelte sich enger in sein Priestergewand.
Die Severinstraße war durch eine Kette versperrt. Also
mussten sie auf Umwegen zur Severinskirche durchdringen. Andreas
kannte die kleinen Gassen kaum, durch die sie schritten und die
manchmal so schmal waren, dass man die Arme nicht seitwärts
ausstrecken konnte, ohne an Wände zu stoßen. Die
Häuser hier waren meist nur einstöckig, gedrungen und
aus Holz und Lehm. Hier und da versperrte ein Misthaufen beinahe
den Weg. Immer häufiger waren Felder zwischen den
Gebäuden zu sehen, manchmal auch Wiesen, auf denen dunkle
Schemen wie schläfrige Nachtmahre auf und ab krochen:
Kühe, Schafe, Pferde. Ein Dorf in der Stadt, dachte Andreas,
der diese Gegend kaum kannte. Da war er über die Alpen
gereist und kannte Bologna, doch seine Heimatstadt war ihm an
vielen Stellen fremd.
Endlich erhob sich der hohe, spitze Turm von Sankt Severin vor
ihnen in den Nachthimmel. In der Nähe der Kirche befanden
sich etliche größere, stattlichere Häuser, sodass
man wieder den Eindruck hatte, in einer Stadt zu sein. Doch nicht
dorthin führte Heinrich Bonenberg seinen Begleiter, sondern
zu einer mannshohen Hecke, die aus der Entfernung wie eine Wand
aussah. Dahinter war nichts zu erkennen.
»Das ist der Weingarten von Ludwig Leyendecker«,
flüsterte Bonenberg. »Dahinten, bei dem Wegkreuz, hat
sich Dulcken einfach in die Hecken geschlagen.«
Rasch hatten sie das alte Wegkreuz erreicht, in dessen Basalt
eine Kreuzigungsszene gemeißelt war. Inzwischen war der
Mond hinter einer fetten Wolke hervorgekrochen und behauchte das
Kreuz mit krankweißem Licht. Der Schein der Laterne fiel
darüber und tauchte den Stein in Gelb. Dahinter stand in
einiger Entfernung ein Handkarren, der schon bessere Tage gesehen
hatte. Ob er Dulcken gehörte? Andreas warf einen Blick auf
Heinrich Bonenberg. Dessen Gesicht war durch die Schattenspiele
zu einer Fratze verzerrt. Der junge Geistliche erschrak;
Bonenberg wirkte nun so wie die alten Skulpturen am Portal des
unfertigen Doms, das vor Teufeln und Dämonen strotzte.
Bonenberg verzog das Gesicht noch mehr. »Hier ist es. Nun
solltet Ihr beten.« Er grinste.
»Warum?«, fragte Andreas mit belegter Stimme.
»Damit wir ihn finden und er Euch bei Eurer seltsamen
Suche helfen kann«, gab Bonenberg zurück und
drückte die Zweige beiseite. Im Licht der Laterne war
deutlich zu sehen, dass sich an dieser Stelle vor kurzer Zeit
jemand einen Weg gebrochen hatte; das Gezweig war
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