Tod in Breslau
be-
wachte Denkmal Wilhelms I. bekreuzigte sich bei der
Fronleichnamskirche, bog zum Zwingerplatz ab, ging am
Realgymnasium vorbei und betrat die Kaffeerösterei Otto
Stieblers. Der stark nach Kaffeearoma duftende Saal war
überfüllt mit Liebhabern des schwarzen Getränks, die
Luft war von Tabakrauch verdunkelt. Mock begab sich
direkt in den Geschäftsraum. Der Kontorist legte seine
Buchhaltung beiseite, verbeugte sich vor dem Rat und
verließ sofort den Raum, damit Mock in Ruhe telefonie-
ren konnte. Mock hatte kein Vertrauen zu den Telefoni-
stinnen im Präsidium und erledigte Anrufe, die Diskreti-
on erforderten, des Öfteren von hier. Er wählte die Pri-
vatnummer von Mühlhaus, meldete sich höflich und er-
hielt die erwünschten Informationen. Dann rief er seine
Frau an, um ihr mitzuteilen, dass er wegen des Überma-
ßes an Arbeit nicht zum Mittagessen komme.
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Breslau, Samstag, 13. Mai.
Halb vier Uhr nachmittags
Der »Bischofskeller« im Gebäude des Schlesischen Hofs
an der Helmuth-Brückner-Straße, die vor der Nazizeit
Bischofsstraße geheißen hatte, war bekannt für seine aus-
gezeichneten Suppen und Braten sowie für sein Eisbein.
An den Wänden des Lokals hingen Ölbilder des bayeri-
schen Malers Eduard Grützner mit Szenen aus dem nicht
gerade asketischen Mönchsleben. Am liebsten hielt sich
Mock im kleinen Nebensaal auf. Hier herrschte gedämpf-
tes Licht, das durch die grünlichen Mosaikscheiben des
Deckenfensters in den Innenraum drang. Früher war
Mock sehr oft hierher gekommen. Er hatte sich gerne
inmitten der sanft wogenden Schatten seinen Träumen
hingegeben und sich von der unterirdischen Stille, dem
ruhigen Atmen des Kellners einlullen lassen. Aber die
wachsende Popularität des Restaurants hatte die von
Mock so geschätzte Traumatmosphäre des Raumes zu-
nichte gemacht. Auch jetzt noch wogten die Schatten
sanft, aber das Schmatzen der Verkäufer und Lagerbesit-
zer sowie das Krakeelen der SS-Männer, die hier neuer-
dings immer öfter verkehrten, bewirkten, dass die von
Mock imaginierten Ozeanwellen seine Phantasie nicht
mit der ersehnten Ruhe erfüllten, sondern mit Schlamm
und stacheligen Wassergewächsen.
Der Kriminalrat befand sich in einer schwierigen Si-
tuation. Seit einigen Monaten schon hatte er beunruhi-
gende Veränderungen innerhalb des Polizeipräsidiums
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feststellen können. So war ihm aufgefallen, dass einer seiner besten Mitarbeiter, der Jude Heinz Kleinfeld, von vie-
len mit deutlicher Geringschätzung behandelt wurde. Ei-
ner der Mitarbeiter, der neu in der Kriminalabteilung
war, hatte sich sogar geweigert, mit Kleinfeld zusammen-
zuarbeiten. Die Folge war, dass er von einem Tag auf den
anderen aus dem Präsidium verschwand. Aber das war
Anfang Januar gewesen. Und inzwischen war Mock gar
nicht mehr sicher, ob man diesem Nazi wirklich gekün-
digt hatte. Denn seither hatte sich viel geändert. Am 31.
Januar war Hermann Göring Innenminister geworden
und somit auch Vorgesetzter der ganzen preußischen Po-
lizei. Einen Monat später war der neue braune schlesische
Gauleiter Helmuth Brückner in das prunkvolle Gebäude
der schlesischen Regierung in der Lessingstraße eingezo-
gen, und keine zwei Monate später gab es im Breslauer
Polizeipräsidium einen neuen Vorsitzenden, Edward
Heines, dem bereits ein übler Ruf vorausgeeilt war. Eine
neue Ordnung war eingekehrt. Das einstige französische
Gefangenenlager an der Strehlener Chaussee in Dürrgoy
wurde in ein Konzentrationslager umgewandelt, in das
gleich zu Beginn einige gute Bekannte von Mock eingelie-
fert wurden, darunter der frühere Polizeipräsident Voigt
und der ehemalige Bürgermeister Karl Mach. Plötzlich
tauchten auf den Straßen Banden von Halbstarken auf,
die berauscht waren vom Glauben an ihre eigene Unfehl-
barkeit – und vom billigsten Bier. Sie trugen Fackeln und
umringten im geschlossenen Kordon die Transporte der
festgenommenen Juden und Nazigegner. An den Wagen
waren hölzerne Tafeln angebracht, die ihre »Verbrechen«
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am deutschen Volk aufzählten. Täglich schienen die
Straßen mit mehr Braunhemden bevölkert zu sein. Im
Polizeipräsidium wurden plötzlich Mitglieder der NSDAP
aktiv, im Westflügel des wunderschönen Gebäudes brei-
tete sich die Gestapo aus, zu der auf einmal die besten
Leute aus anderen Abteilungen überliefen. Heines setzte
– gegen die Proteste von Mühlhaus – seinen Protegé
Forstner in
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