Tod in Breslau
Pranke
drückte er die kleine Hand Mocks und machte es sich an
dessen Tisch bequem. Er bestellte dasselbe wie Mock:
Zander mit pikantem Rübensalat. Bevor Mock zur Sache
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kam, entwarf er in Gedanken eine Charakteristik seines
Gegenübers: leicht übergewichtiger Brandenburger, som-
mersprossige Glatze mit einzelnen rötlichen Haarbü-
scheln, grüne Augen und Hamsterbacken, Liebhaber von
Schubert und minderjährigen Mädchen.
»Sie wissen über alles Bescheid, was vorgefallen ist?«
Mock eröffnete das Gespräch ohne lange Einleitung.
»Über alles? Nein … ich weiß sicher nicht viel mehr als
dieser Herr dort.« Piontek zeigte auf einen Mann, der die
»Schlesische Tageszeitung« las. Sie zeigte in dicken Let-
tern die Schlagzeile: Mord an Baronesse im Zug Breslau-Berlin. Kriminalrat Mock übernimmt den Fall.
»Ich denke, dass Sie bedeutend mehr wissen.« Mock
spießte mit der Gabel das letzte Stück des knusprig gebra-
tenen Fischs auf und leerte sein Bier. »Ich möchte Sie in-
offiziell um Unterstützung bitten, Herr Hauptsturmfüh-
rer. In ganz Breslau und vielleicht in ganz Deutschland gibt es keinen besseren Kenner aller religiösen Sekten
und Geheimbünde als Sie. Die Sprache der Symbole ist
für Sie ein offenes Buch. Ich möchte Sie bitten, mir alle
Vereinigungen zu nennen, die einen Skorpion als ihr Zei-
chen verwenden. Wir wären über jegliche dahingehenden
Hinweise und Kommentare von Ihnen dankbar, und ich
bin sicher, dass wir uns in Zukunft auch revanchieren
können. Immerhin verfügen sowohl die Kriminalabtei-
lung als auch ich persönlich über einige Informationen,
die für Sie von Interesse sein könnten.«
»Muss ich denn den Bitten der höheren Kripo-
Funktionäre nachkommen?« Piontek lächelte breit und
zwinkerte mit den Augen. »Warum sollte ich Ihnen hel-
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fen? Weil mein Chef und Ihr Chef Duzfreunde sind und
jeden Samstag miteinander Skat spielen?«
»Sie haben mir nicht genau zugehört, Herr Haupt-
sturmführer.« Mock hatte nicht die Absicht, heute noch
ein weiteres Mal die Nerven zu verlieren. »Ich schlage Ih-
nen auch zu Ihrem Nutzen einen Austausch von Infor-
mationen vor.«
»Herr Rat«, Piontek verschlang gierig den Rest seines
Fischs. »Mein Chef hat mich hierher geschickt. Da bin ich
also. Ich habe einen köstlichen Fisch gegessen und die
Anordnung meines Chefs befolgt. Somit ist alles in bester
Ordnung. Mich geht diese Sache nichts an. Da, sehen
Sie!« Er zeigte mit seinem dicken Finger auf die Titelseite der aufgeschlagenen Zeitung. »Kriminalrat Mock übernimmt den Fall.«
Mock beugte in Gedanken einmal mehr das Haupt vor
seinem alten Chef. Kriminaldirektor Mühlhaus hatte
Recht gehabt – Piontek war ein Mensch, dem man mit
dem Holzhammer über den Schädel schlagen und die
Kehle zudrücken musste, um mit ihm fertig zu werden.
Mock wusste aber auch, dass er viel riskieren würde,
wenn er sich mit Piontek einließe, deshalb zögerte er.
»War bei dem Gespräch mit Ihrem Chef nicht die Rede
davon, dass Sie uns behilflich sein sollten?«
»Nicht mal andeutungsweise.« Piontek verzog den
Mund zu einem Grinsen.
Mock hatte ein paarmal tief durchgeatmet und fühlte
nun, wie ein süßes Gefühl der Macht in ihm aufstieg.
»Sie werden uns helfen, Piontek, und zwar mit allen
Mitteln. Sie werden all Ihre grauen Zellen aktivieren.
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Wenn es sein muss, werden Sie in der Bibliothek stöbern
… Und wissen Sie auch warum? Nicht etwa, weil Sie Ihr
Chef darum gebeten hat oder Kriminaldirektor Mühl-
haus oder gar ich. … Sie werden es tun, weil Ilsa Doblin
sie anflehen würde, es zu tun, diese entzückende, kleine,
elfjährige Schlampe, die Sie in Ihrem Auto vergewaltigt
und deren betrunkene Mutter Sie dafür großzügig ent-
lohnt haben. Und auch Agnes Häring würde Sie artig bit-
ten, das kleine Plappermäulchen mit den Rattenschwän-
zen, das Sie in Madame le Goefs Boudoirs zu malträtieren
pflegen. Auf dem Foto kommen Sie übrigens ganz gut
heraus.«
Piontek grinste noch immer breit.
»Ich bitte um einige Tage Bedenkzeit.«
»Selbstverständlich. Und bitte kontaktieren Sie aus-
schließlich mich persönlich. Denn schließlich steht es
überall geschrieben: Kriminalrat Mock übernimmt den
Fall. «
II
Breslau, Sonntag, 14. Mai 1933.
Zehn Uhr morgens
Baron Wilhelm von Köpperlingk bewohnte die beiden
obersten Stockwerke eines wunderschönen Jugendstil-
Eckhauses an der Uferzeile 9, unweit der
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