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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marek Krajewski
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Technischen
    Hochschule. Für ihn arbeitete ein junger Kammerdiener
    mit traurigen, sanften Augen und sorgfältig einstudierten
    Gesten. Dieser öffnete den Gästen die Tür.
    »Der Herr Baron erwartet Sie im Empfangszimmer.
    Kommen Sie.«
    Mock stellte sich und seinen Assistenten vor. Von
    Köpperlingk war ein groß gewachsener, schlanker Mann
    mit den langen und feingliedrigen Fingern eines Piani-
    sten. Soeben hatten sein Barbier und seine Maniküre den
    Raum verlassen. Der Baron war bemüht, die Aufmerk-
    samkeit des Rats auf die Arbeit der beiden zu lenken,
    doch da seine Hände ständig in Bewegung waren, konnte
    sie Mock nicht lange genug betrachten. Stattdessen sah er
    sich neugierig im großen Zimmer des Barons um. Hier
    gab es die mannigfaltigsten Details, die alle sein Interesse weckten, doch konnte er insgesamt in der protzigen Einrichtung kein bisschen Sinn entdecken, keinen Leitge-
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    danken, kein dominierendes Element – ganz zu schweigen
    von einem einheitlichen Stil. Fast jeder Gegenstand, der
    sich hier befand, leugnete auf seine Art den Zweck seiner
    Existenz: ein vergoldeter Schaukelstuhl, ein Sessel, aus
    dem eine stählerne Faust hervorragte, ein Tisch mit ge-
    schnitzten arabischen Ornamenten, die es unmöglich
    machten, auch nur ein Glas auf ihm abzustellen. Mock
    war kein Kunstkenner, aber er war sicher, dass die riesi-
    gen Gemälde, auf denen die Leiden Christi, ein danse ma-cabre und eine orgiastische Schwelgerei dargestellt waren, nicht von der Hand eines Künstlers stammen konnten,
    der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen war.
    Forstner hingegen hatte etwas anderes entdeckt: Unter
    den Fenstern zum Balkon standen auf etwa ein Meter
    hohen Stellagen drei Terrarien, in denen sich verschiede-
    ne Spinnen und Schlangen tummelten. Ein viertes Terra-
    rium, das neben dem himmelblauen Kachelofen stand,
    war leer. Gewöhnlich ruhte darin ein kleiner Python.
    Endlich gelang es dem Baron, die Blicke der beiden Po-
    lizisten auf seine gepflegten Hände zu lenken. Überrascht
    bemerkten sie, dass er damit liebevoll den Körper eben-
    dieses Pythons streichelte, der sich um seine Schulter ringelte. Der Diener mit den Samtaugen brachte Tee und
    mürbe Kekse auf einem Jugendstilteller, dessen Fuß die
    Form von Bocksbeinen hatte. Von Köpperlingk bedeutete
    den Polizisten, auf den mauretanischen Kissen Platz zu
    nehmen, die über den Fußboden verstreut lagen. Sie lie-
    ßen sich im Türkensitz nieder. Forstner und der Diener
    wechselten einen verstohlenen Blick – was jedoch weder
    Mock noch dem Baron entging.
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    »Sie haben da eine interessante Sammlung in den Ter-
    rarien, Herr Baron.« Mock stand ächzend wieder auf und
    besah sich einige der Exemplare genauer. »Ich habe gar
    nicht gewusst, dass es so riesige Tausendfüßler gibt.«
    »Das ist eine Scolopendra Gigantea. « Der Baron lächelte nachsichtig. »Meine Sara ist dreißig Zentimeter lang,
    sie kommt aus Jamaika.«
    »Ich habe noch nie eine Scolopendra gesehen.« Mock
    zog gierig an der ägyptischen Zigarette, die ihm der Die-
    ner gereicht hatte. »Wie sind Sie an das Tier gekommen?«
    »In Breslau gibt es einen Zwischenhändler, der besorgt
    einem auf Bestellung allerlei …«
    »… Ungeziefer.« Mock beendete den Satz für den Baron.
    »Und wer ist dieser Zwischenhändler?«
    Von Köpperlingk riss eine Seite aus einem Briefblock
    und schrieb unter das prunkvolle Familienwappen einen
    Namen und eine Adresse: Isidor Friedländer, Wallstraße 27.
    »Haben Sie auch Skorpione?« Mock ließ die Scolopen-
    dra nicht aus den Augen, die elegant und harmonisch ih-
    re Rumpfsegmente auf- und abrollte.
    »Irgendwann hatte ich mal einige Exemplare.«
    »Und woher hatten Sie die?«
    »Eben von diesem Friedländer.«
    »Warum haben Sie jetzt keine mehr?«
    »Wahrscheinlich hatten sie Sehnsucht nach der Wüste
    Negev. Und da sind sie mir eingegangen.«
    Plötzlich traute Mock seinen Augen kaum: Er hatte an
    der Wand ein Porzellanpissoir entdeckt, in dem ein me-
    tallisch glänzender Eisstößel in Form einer schlanken,
    spitzen Pyramide lag.
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    »Keine Sorge, Herr Rat. Das ist nur ein Ziergegen-
    stand … Duchamp nachempfunden; niemand benutzt
    das. Ebenso wenig wie den Stößel.« Köpperlingk strich
    über den Samtkragen seiner Hausjacke.
    Mock ließ sich schwer auf seine Kissen fallen. Ohne
    seinen Gastgeber anzusehen, fragte er:
    »Was hat Sie dazu bewogen, Orientalistik zu studie-
    ren?«
    »Oh, das war wohl die Melancholie

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