Tod in Breslau
Schmierfinken vor meinem Haus
entfernen? Und zweitens: Hol mir Dr. Georg Maass aus
Königsberg nach Breslau. Er ist ein hervorragender Ken-
ner der Geschichte des Okkultismus, der auch auf dem
Gebiet der orientalischen Sprachen äußerst bewandert ist.
Er wird dir dabei behilflich sein, die Täter dieses Ritualmordes zu finden – ja, es war ein Ritualmord, du hast
dich nicht verhört. Drittens, wenn du den Mörder hast –
übergib ihn mir. Das sind meine Ratschläge, Bitten oder,
wenn du so willst: Bedingungen. Das ist alles. Rauch in
Ruhe deine Zigarre zu Ende. Adieu.«
Der Rat hatte kein Wort gesagt. Er kannte von der
Malten aus Studententagen und wusste, dass es keinen
Sinn hatte, mit ihm zu diskutieren. Es war schon immer
so gewesen, dass der Baron nur auf sich selbst gehört und
den anderen Anweisungen erteilt hatte. Eberhard Mock
hatte zwar schon lange aufgehört, Befehle zu befolgen –
als solche hätte man das liebenswürdige Brummen seines
Chefs Mühlhaus auch kaum auffassen können. Doch in
diesem Fall konnte Mock kaum Nein sagen – denn ohne
Baron von der Malten wäre ihm der Titel eines Kriminal-
rats wohl nie zuerkannt worden.
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Breslau, 13. Mai 1933.
Ein Uhr nachmittags
Mock gab die Anweisungen bezüglich der Journalisten
und Dr. Maass an Forstner weiter und rief Kleinfeld zu
sich.
»Gibt es etwas, was Hirschberg verdächtig macht?«
»Nein.«
»Ich möchte ihn noch verhören. Bestellen Sie ihn um
zwei Uhr hierher.«
Mock spürte, dass es mit seiner Beherrschung, für die
er doch so berühmt war, nicht mehr weit her war. Er
fühlte sich, als hätte er Sand in den Augen, seine Zunge
war geschwollen und mit einem bitteren Belag überzo-
gen, der nach Nikotin schmeckte. Er atmete schwer, sein
schweißdurchtränktes Hemd klebte ihm am Leib.
Schließlich ließ er eine Droschke kommen und fuhr zur
Universität.
Professor Andreae hatte gerade seine Vorlesung über
die Geschichte des Nahen Ostens beendet. Mock stellte
sich vor. Der Professor beäugte den unrasierten Polizi-
sten argwöhnisch und bat ihn dann in sein Arbeitszim-
mer.
»Herr Professor, Sie halten an unserer Universität
schon seit dreißig Jahren Vorlesungen. Auch ich habe vor
vielen Jahren einmal das Vergnügen gehabt, einer Ihrer
Hörer zu sein, als ich vor langer Zeit Altphilologie stu-
diert habe … Es gab unter den Studenten auch solche, die
dann ganz auf die Orientalistik umgestiegen sind. Erin-
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nern Sie sich vielleicht noch an den einen oder anderen
ihrer ehemaligen Studenten, der irgendwie ein abwei-
chendes Verhalten an den Tag gelegt hat, der einen Hang
zu Perversionen vermuten ließ …?«
Andreae war ein kleiner, vertrockneter Alter mit kur-
zen Beinen und einem in die Länge gezogenen Rumpf.
Jetzt saß er in seinem riesigen Arbeitsstuhl, sodass er mit den Füßen in der Luft schaukeln konnte. Mock kniff die
Augen zusammen und unterdrückte ein Grinsen: Er stell-
te sich vor, wie leicht man eine Karikatur dieses Männ-
chens zeichnen könnte: ein paar senkrechte Striche – Na-
se und Ziegenbärtchen, und drei waagrechte Striche –
Augen und Mund.
»Das Geschlechtsleben der Orientalistikstudenten –«,
der dünne Strich von Andreaes Mund wurde noch dün-
ner »denn, wie Sie treffend bemerkt haben, ›es gab auch
solche‹ –, interessiert mich genauso wenig wie Ihre …«
Ein Feuerwehrwagen fuhr mit durchdringendem Ge-
heul durch die Ursulinenstraße, und Mock war über-
zeugt, dass genau dieses Geräusch etwas mit ihm durch-
gehen ließ. Er stand auf, ging zum Schreibtisch, packte
beide Handgelenke des Professors, hielt sie auf die Arm-
lehnen seines Arbeitsstuhls gepresst und näherte sein Ge-
sicht dem Ziegenbärtchen.
»Jetzt hör mir gut zu, du alter Bock, vielleicht warst du
es, der das siebzehnjährige Mädchen umgebracht hat?
Vielleicht hast du sie erst noch ein bisschen in deinem lä-
cherlichen Turban herumgejagt, wie du es so schätzt, du
grotesker Wicht? Und dann hast du ihr vielleicht mit
dem Krummdolch ihren Bauch aufgeschlitzt?« Er ließ
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den Professor los, setzte sich wieder auf seinen Stuhl und fuhr sich mit den Fingern durch sein schweißnasses
Haar.
»Es tut mir Leid, Herr Professor, aber ich werde die
Expertise über den Text von jemand anderem anfertigen
lassen. Übrigens: Sie brauchen nicht zu antworten. Ich
weiß es. Aber wollen Sie, dass es der Dekan der Philoso-
phischen Fakultät erfährt, oder Ihre
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