Tod in Breslau
einen
Brüllaffen?«, dachte Vogl laut.
»Das ist Anwaldt. Gerade ist das Licht bei ihm ange-
gangen.« Knopp lachte. »Wahrscheinlich hat er wieder
eine Kakerlake gesehen.«
Knopp hatte nur teilweise Recht. Es war zwar wirklich
Anwaldt, der geschrien hatte – allerdings nicht wegen ei-
ner Kakerlake. Über den Boden seines Krankenzimmers
waren soeben – während sie merkwürdig mit ihren lan-
gen Schwänzen zuckten – vier ausgewachsene, schwarze
Wüstenskorpione spaziert.
Breslau, Samstag, 13. Mai 1933.
Ein Uhr nachts
Madame le Goef, eine Ungarin, die diesen französischen
Namen nur angenommen hatte, wusste genau, was zu tun
war, um in Breslau an Kundschaft zu kommen. Sie gab keinen Pfennig für Annoncen in der Presse oder sonstige
Reklame aus, sondern wählte den direkten Weg, vertraute
auf ihre untrügliche Intuition und schrieb sich aus dem
Breslauer Telefonbuch etwa hundert Namen samt Adres-
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sen heraus. Dann legte sie einer ihrer Luxusprostituier-
ten, die nur in besten Kreisen verkehrte, die Liste vor, um sicherzugehen, dass es sich bei ihrer Wahl ausschließlich
um sehr begüterte Männer handelte. Daneben hatte Ma-
dame noch eine Liste mit Ärzten und Professoren der
Breslauer Universität und der Technischen Hochschule
angelegt. Ihnen allen hatte sie in unauffälligen Kuverts
diskrete Briefe geschickt – mit dem Hinweis auf die Er-
öffnung eines neuen Clubs, in dem auch der anspruchs-
vollste Herr seine Wünsche befriedigen könne. Eine wei-
tere Reihe von Schreiben hatte sie an Herrenclubs, Dampf-
bäder und Varietés geschickt. Die mit üppigem Trinkgeld
bestochenen Garderobieren und Portiers schmuggelten
den Gästen seitdem duftende Kärtchen in die Mantelta-
schen, auf denen die Zeichnung einer appetitlichen Venus
zu sehen war – in schwarzen Strümpfen und mit einem
Zylinder in der Hand.
Trotz einiger hell empörter Presseberichte und zwei
laufender Gerichtsverfahren erlangte der Club von Ma-
dame de Goef bald Berühmtheit. Dreißig Mädchen und
zwei junge Männer standen den Kunden mit all ihren
Reizen für die verschiedensten Dienste zur Verfügung.
Im Salon ließ man es auch an künstlerischen Auftritten
nicht fehlen. Die »Artistinnen« rekrutierten sich aus dem
saloneigenen Personal, oder es gab – was häufiger vor-
kam – fürstlich honorierte Gastspiele der Tänzerinnen
des Kabaretts »Imperial« oder eines kleineren Revuethea-
ters. Zwei Abende pro Woche wurden in orientalischem
Stil abgehalten (wobei einige »Ägypterinnen«, die sonst
im Kabarett auftraten, sich nicht nur auf den Bauchtanz
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beschränkten), es gab zwei Abende im »klassischen Stil«
(Bacchanalien), an einem Tag ging es auf rustikale, deut-
sche Art zu (Heidi in Spitzenhöschen), und an einem
Abend herrschte geschlossene Gesellschaft – dieser Tag
war besonderen Gästen und ihren diskreten Rendezvous
vorbehalten. Montags blieb der Club geschlossen. Bald
wurden Reservierungen telefonisch entgegengenommen,
und das kleine preußische Palais mit dem Spitznamen
»Loheschlösschen« in dem Breslauer Vorort Opperau
war bald stadtbekannt. Die angefallenen Kosten waren
rasch wieder wettgemacht, umso mehr, als Madame nicht
die einzige Investorin war. Den Löwenanteil der Ausga-
ben hatte das Breslauer Polizeipräsidium übernommen –
wobei die Rückzahlungen an diese Behörde nicht nur fi-
nanzieller Art waren. So waren also alle zufrieden, beson-
ders die Kundschaft, einerlei ob sie nur sporadisch oder
regelmäßig im Club verkehrte. Doch immer mehr wur-
den zu Stammkunden. Denn wo sonst hätte Otto Andrae,
Professor der Orientalistik – im Turban, bewaffnet mit
einem Krummdolch –, seiner wehrlosen Houri nachjagen
können, um sie auf einem Berg von scharlachroten Kis-
sen in Besitz zu nehmen, wo sonst hätte der Direktor des
Städtischen Theaters seinen fetten Rücken den süßen
Misshandlungen einer schlanken Amazone in Reitstiefeln
darbieten können?
Madame kannte die Wünsche der Männer und war
glücklich, wenn sie ihnen entgegenkommen konnte. Und
die größte Freude hatte ihr vor einiger Zeit der Rat Eber-
hard Mock gemacht, stellvertretender Chef der Kriminal-
abteilung des Polizeipräsidiums, als sie ihm zwei schach-
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spielende Mädchen besorgen konnte. Madame hatte eine
besondere Sympathie für den leicht untersetzten Mock mit
seinem dichten und gewellten brünetten Haar. Er vergaß
nie, Blumen für Madame mitzubringen, und
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